Wie aus den Vorberichten im Blog (http://martin24h.blogspot.com) bekannt verlief dieses Jahr wechselhaft. Zunächst die neue Marathon-PB in Mailand, dann wieder Verletzungsschwierigkeiten in der eigentlichen Ultralaufvorbereitung und der verpatzte, "lockere" Trainingslauf (zumindest war er als solcher geplant gewesen ...) bei den 24-Stunden von Irdning (http://martin24h.blogspot.com/2013/07/das-war-der-24-stundenlauf-in-irdning.html). Danach ein kurzer Urlaub und dann der endgültige, hoffentlich problemlose Formaufbau für Brugg über 9 1/2 Wochen. Details dazu gab's im Blog nicht, es gab keine wirklichen Höhepunkte zu berichten und die ewigen Statistiken erschienen mir schon zu öde für den geneigten Leser. Jedenfalls war das Training dosierter als vor Irdning. In den Belastungswochen etwa 12-16 Wochenstunden Training. Davon verbrachte ich 75-80% der Zeit mit Laufen, den Rest am Rad/Ergo. Persönlich zuversichtlich stimmten mich die letzten beiden langen Läufe drei bzw. zwei Wochen vor Brugg mit 56km in 5:06min/km und 48km in 4:53min/km. Beides absolvierte ich als Mentaltraining auf der bekanntlich (wenn man so wie ich nach den Holzlatten läuft) 4 Kilometer langen, schnurgeraden Prater-Hauptallee. Rauf, runter, rauf, runter, rauf, runter, usw.
Neben dem Training sind aber natürlich auch der Faktor Infrastruktur vor Ort wichtig sowie für mich auch ganz, ganz entscheidend die Betreuung während des Laufs. In der Ergebnisliste aus dem Vorjahr entdeckte ich den Namen "Heike Bergmann". Heike war mir über Kommentare via Facebook bei einem Ultralauffreund bekannt, daher wandte ich mich vertrauensvoll an sie, um Details zu Brugg zu erfahren. Beleuchtung, Labestation, Streckenbeschaffenheit waren nur einige Punkte meines ausführlichen Fragenkatalogs. Ebenso so ausführlich wie meine Fragen war auch das Feedback von Heike. Ich hatte also schon eine sehr gute Vorstellung, was mich in Brugg erwarten würde! Vielen Dank für Deine Hilfe Heike!
Infrastruktur war damit abgehakt, nachdem es vor Ort wahrscheinlich keine Stromversorgung geben würde, schaffte ich noch zwei starke Batteriecampinglampen an, die sich auch bewährten. Ich kann also eine Empfehlung für liteXpress Camp 203 RC (http://www.litexpress.com/de/laternen/camp/camp-203-rc/) an dieser Stelle aussprechen. Nebenbei ist so eine Laterne selbst dann sinnvoll, wenn es Strom und Beleuchtung vor Ort gibt. Das merkte ich in Irdning, wo ich genau in einem Lichtschatten stand und in der Nacht bei meinem Tisch fast nichts erkennen konnte.
Blieb noch die Betreuung. Ein Verhältnis Betreuer zu Läufer von 1:1 ist zwar gut, aber 2:1 ist wesentlich besser, weil dann einer der beiden Betreuer zwischendurch auch schlafen kann ohne dass der Läufer auf sich allein gestellt ist. Und ab und an sind vier Betreuerhände gleichzeitig auch besser als zwei. So versuchte ich das Erfolgs-Team meiner bisherigen Bestleistung aus Irdning 2011, also Carola und Winfried, zu reaktivieren. Und zu meiner großen Freude sagte Winfried zu, mich gemeinsam mit Carola (sie hatte ja nicht wirklich die Wahl, ob sie möchte oder nicht ;-)) zu betreuen.
Jetzt wurde es also langsam wirklich ernst.
Mittwoch vor dem Lauf hatte ich bereits Urlaub genommen, um meine Essensvorräte zu komplettieren. Energie für einen 6-Tage-Lauf verpackte ich in diverse Kartons, weil der werte Herr Ultraläufer will sich ja nicht im vorhinein festlegen, wonach ihm wann in welcher Menge der Geschmack ist. Kleiner Vorgriff: bis Jahresende könnte ich mich wohl von der nach dem Lauf verbliebenen Restmenge an Schokoladen, Reis, Obstriegel, Soletti und Schnitten ernähren :-D, denn die Labe vor Ort war ausgezeichnet und deckte einen Großteil der Verpflegung ab.
Neben dem Essen wurde unser Wohnmobil noch mit Laufgewand & Co vollgerammelt. Donnerstag früh startete ich dann los Richtung Schweiz - alleine. Carola flog erst am Freitag nach Zürich und dann ging's weiter mit der Bahn nach Brugg. Brugg liegt übrigens etwa zu Zürich wie Tulln zu Wien, also eine komfortable Verbindung. Außerdem wäre im Wohnmobil ohnehin kein Platz für eine Mitfahrerin gewesen. Um sich einigermaßen im Wohnmobil bewegen zu können (bzw. zu schlafen), waren einige Verschiebespielchen mit dem Equipment von Nöten.
Lustenau/Zwerglidorf |
Freitag früh dann weiter nach Brugg, ab 12h sollte das Gelände geöffnet und die Zeltplätze beziehbar sein. Um 11h kam ich an, noch tat sich nicht wirklich etwas. Nur ein deutsches Läuferehepaar hatte schon das Auto auf einem Zeltplatz geparkt. Das Laufgelände selbst befindet sich auf einer kleinen Insel, umflossen von den Flüssen Strängli und Aare. Impressionen der Strecke finden sich hier: http://www.24stundenlauf.ch/de/laufinfo/laufstrecke.html. Auf der Insel hat auch das Schweizer Militär einige Einrichtungen und Soldaten nutzen die Insel zum Konditionstraining, wo neben den üblichen Militärspielereien (z.B. Hindernisbahn mit Stacheldraht) auch einige Trailelemente in den Waldteilen der Insel angelegt sind. Ebenso scheint die Insel Erholungsgebiet für die Einwohner von Brugg zu sein. Viel los war auf der Insel aber das ganze Wochenende nicht.
Streckenpräparierung |
Während ich noch überlegte, auf welcher Position bei den Zeltplätzen ich unser Lager aufschlagen würde, kam auch schon Gerhard "Eggi" Eggenreich mit seiner dreiköpfigen Betreuer-Crew an. Gerhard zählt zu den besten Ultraläufern Österreichs (24h-PB 232,38km) und ich freute mich sehr, als ich seinen Namen auf der Startliste entdeckte, weil ein bekanntes Gesicht während des Laufs auf der Strecke tut schon auch gut. So bezogen wir dann unsere Plätze: Eggi standesgemäß auf Position 1, ich mit kleinem Respektabstand auf Position 3 - naja, näher ging nicht, weil unsere deutschen Freunde auf Position 2 standen ;-). Jedenfalls war mein Platz gerade einmal 50 Meter von der offiziellen Labestation entfernt, das sollte also auch ideal für die Betreuung sein.
Jetzt noch rasch das Zelt aufbauen, damit ich mich im Wohnmobil endlich etwas besser bewegen konnte und dann wieder Beine lockern und ein bisschen Laufen. Lust auf Ausflug hatte ich keine, daher trabte ich einfach gleich die ersten Runden auf der Laufstrecke - sehr zum Gaudium von Eggi und seinem Anhang, die meinten, ich wäre zu früh dran :-D. Die Strecke gefiel mir, etwas windanfällig schien sie aber. Allerdings war der Wind am Freitag auch eher kräftig. Und so schlimm würde es nicht werden, da die Strecke insgesamt nur 934.8 Meter lang war, sodass man maximal 350 Meter am Stück gegen den Wind laufen musste, wenn es ganz schlimm kommen sollte. Der Asphalt sehr gut, keine Löcher drinnen, also falls die Beleuchtung schlecht sein sollte, keine Verletzungsgefahr in der Nacht. Und durch die Wiese im Innenraum der Strecke war auch die gesamte Strecke jederzeit einsehbar. Gut zur Orientierung und man würde sich beim Lauf sicherlich nicht einsam fühlen, da das Läuferfeld stets im Blick war. Ich fühlte mich auf Anhieb wohl hier.
Nach meinem kurzen Lauf dann noch Dehnen, Veranstaltung meiner eigenen Tortelloni-Nudel-Party, Duschen, Startvorrat an UltraSports-Buffer-Getränk anmischen und dann war es eh schon später Nachmittag und Zeit, Carola vom Bahnhof abzuholen. So hatte ich die Gelegenheit doch ein bisschen was von Brugg zu sehen. Gut, viel war es nicht, weil der Fußweg zum Bahnhof am direkten Weg gerade einmal ein läppischer Kilometer war. Also wirklich alles klein fein beisammen. Wie nicht anders zu erwarten in der Schweiz fuhr auch die S-Bahn mit Carola auf die Sekunde pünktlich ein und so waren wir bald wieder zurück am Laufgelände.
Ich zeigte Carola, wo im Wohnmobil ich überall Essen versteckt hatte. Immer wieder erstaunlich wieviel Stauraum wir auf unseren 9m^2 Wohnraum haben.
Carola drehte dann auch spazierend eine Runde auf der Laufstrecke, wobei sie allerdings im hinteren Eck der Strecke mehrmals nachfragte (die Verständigung war nicht ganz einfach, sowohl Österreicher als auch Schweizer sprechen ja eine sehr seltsame Abart von Deutsch ;-) ), ob sie ohnehin queren könne, da gerade eine Gruppe dem Hornussen frönte. Wer sich jetzt fragt was Hornussen ist ... http://de.wikipedia.org/wiki/Hornussen_%28Sport%29
Um 21h30 ging es dann aber auch schon für uns beide ab ins Bett, wo wir erst wieder am Samstag um knapp viertel nach acht wieder rauskrochen. Fast 11 Stunden Schlaf, ich sollte also wohl wirklich ausgeruht sein. Jetzt frühstücken und dann unser Basislager fertig ausstatten.
Basislager (mit Athlet und Betreuer) |
Erklärung Läuferhandbuch |
Auch einige Liter an schwarzem Tee (für die Nacht anstelle von Koffein) sowie Pfefferminztee (zur geistigen Belebung und geschmacklichen Erfrischung) bereitete Carola noch vor.
Jetzt wurde es dann langsam wirklich ernst. Umziehen, eine Runde eintraben zum Aufwärmen, Chip für die Zeitnehmung montieren, Übergewand ausziehen und ab zum Start, nach übrigens - lustiger Zufall - exakt 3.000 heuer bisher gelaufenen Kilometern. Und das Herz ging Richtung Hose ... 24 Stunden, so viele Runden, werde ich das wirklich schaffen, ich bin so klein, die 24 Stunden so groß, uiuiuiui.
Am Start dann etwas Entspannung, das übliche Ultralaufprozedere. Während sich bei den Straßenläufen alles in der ersten Reihe drängt und kein Meter verschenkt werden darf, halten hier alle einen Respektabstand zur Startmatte ein, keiner will wirklich in die erste Reihe, alles schön locker. Noch ein bisschen gegenseitige Glückwünsche, dann der Countdown ... 1 Minute, 30 Sekunden, füüf, vier, drü, zwei, eis, Peng, los geht's. Auf ins Abenteuer.
Mein Lauftempoplan für die ersten Stunden war klar. Nachdem der Mensch ja vor allem durch Nachahmen lernt, würde ich also heute versuchen, richtig gute Läufer zu imitieren. Als großer Zahlen- und Statistikfan habe ich daher den Rennverlauf der Top-10 bzw. Supra-200km-Läufer aus Irdning der letzten Jahre ausgewertet und auf meine Zielleistung von 203 Kilometern re-skaliert. Es zeigt sich dabei ein klares Bild (kein Scherz!): Das Tempo v (in km/h) in Abhängigkeit der Wettbewerbsstunde h folgt der Formel v(h) = 10.40331859 - 0.27085001*h + 0.0811937*h^2 - 0.0185283*h^3 + 0.00172981*h^4 - 0.00006997*h^5 + 0.00000102*h^6 (R^2 = 0.9875).
Tempoplan pro Stunde |
Also eh alles ganz einfach. Achja, dass mich Langsamlaufen stark anstrengt, weil mir im Training einfach der Nerv für ein Lauftempo über 5:10min/km fehlt (das macht einfach keinen Spaß) und ich daher darauf nicht konditioniert bin, ist mir mittlerweile klar. Daher wird das eine Art extensives Intervalltraining. Für die Verpflegung brauche ich sowieso Gehpausen von etwa 3 Minuten, damit alles gut gekaut werden kann. Somit ist der Rhythmus klar: etwa drei Minuten nach meinem Basislager gehen, dann drei Minuten Laufen bis ich wieder beim Basislager bin, dann wieder Gehen, Laufen, Gehen, Laufen. Die Streckenlänge von 934.8 Meter ist dafür ideal, da dies etwa 640m Laufen, 300m Gehen bedeutet. Laufen sollte dabei solange als möglich in etwa 5:00min/km erfolgen. Einzig die erste Runde wollte ich durchlaufen. Gesagt, getan.
Anfangsphase |
Das Tempo pendelte sich recht gut ein und war nur minimal schneller als die geplanten 6:07min/Runde (6:33min/km), fühlte sich aber anstrengender an, als erwartet. Dies lag einerseits am noch vorhandenen leichten Gegenwind auf der Start/Zielgerade, andererseits am praktisch mit dem Startschuss eintretenden Hungergefühl. Hm, also gleich etwas essen? Nicht gut, der Fettstoffwechsel sollte sich doch am Anfang einmal aktivieren. Wenn ich gleich mit Kohlenhydraten loslege, dann passiert das aber nicht. Also etwas zuwarten. Knapp bevor die erste Stunde vorbei war, dann der erste Griff zu Bananen und bald darauf die erste Nudelportion. Das Laufgefühl aber weiterhin sehr zäh, die Zweifel groß. Das soll ich 24 Stunden lang durchhalten? Die Panik: nach zwei Stunden schon alles vorbei, ist das heute einfach wieder ein Tag, an dem nix läuft? Wieder alles umsonst? Ich versuchte, mir nicht allzuviel anmerken zu lassen und Carola & Winfried nicht ebenfalls in Panik zu versetzen. Es wird hoffentlich schon noch werden.
Auch die Stimmung konnte mich nicht wirklich aufrütteln, denn die ersten Stunden verliefen recht monoton. Die Schweizer waren jetzt nicht so auf Stimmungsmachen aus und auch im Läuferfeld gab es kaum Gespräche oder das übliche Ultra-Getratsche. Das lag aber wahrscheinlich auch daran, dass der Ultra-Straßenlauf in der Schweiz nicht so sonderlich populär ist (im Vergleich zum Ultra-Trail-Lauf) und auch trotz der im Rahmen dieses Laufs ausgetragenen Schweizer Meisterschaft im 24-Stundenlauf das Starterfeld klein war. So beschnupperte man sich zunächst nur sehr vorsichtig und blieb lieber auf Distanz.
Das Futtern half mir jedoch und ab der dritten Stunde lief es langsam besser. Die vierte Stunde verging dafür aber überhaupt nicht. Das war sicherlich auch psychologisch bedingt, da bei Start/Ziel die Rennuhr als Countdown von 24:00:00 rückwärts lief. Und in der vierten Stunde ersehnte ich schon sehr den Sprung von 2x:xx:xx auf 1x:xx:xx, der aber nicht und nicht kommen wollte.
Aber nachdem es endlich 19:59:59 geschlagen hatte, kam ich in Fahrt. Jetzt nur nicht überpacen, schön brav auf Kurs bleiben, den Lauf genießen. Auch ein bisschen den Blick schweifen lassen. Lustig: Eggi und ich, die beiden Ösis, waren mit dem größten Equipment angereist. Eggi mit Zelt und ich überhaupt mit dem Overkill: Zelt & Wohnmobil. Die anderen begnügten sich bestenfalls mit einem ganz kleinen Einmannzelt.
Gehpause, rechts vorne das Konzept der Streckenbeleuchtung |
Auch Eggi feuerte mich jedes Mal an, wenn wir uns begegneten. Ich hatte also Aufwind, es lief. Ich war locker. Auch die Ernährung spielte sich ein, immer schön abwechslungsreich wurde ich von Carola und Winfried versorgt. Nudeln, Soletti, Banane (die schnappte ich mir selbst von der Labe), etwas Iso, auch mal ein Gel, und vor allem immer wieder herrliches Brot von der Labe besorgten sie. Das war echt supergut - würzig, aber ohne den Magen zu irritieren. Und noch früher als erwartet verlor ich schon zu Beginn des Laufs wieder jegliches Körpergefühl, umso wichtiger war die aufmerksame Protokollierung von Essen & Trinken.
So kam ich dann auch mit einem Schweizer Ultraläufer namens Roman ins Gespräch, der seinen ersten 24-Stundenlauf bestritt, aber an der Spitze mitlief. Er fragte mich, was es denn mit meinem Laufrhythmus auf sich hat. Also Erklärung "Langsamlaufen bla bla bla". Er hielt den Ansatz für interessant und probierte ihn für sich aus. Um einige Runde später strahlend zu erklären, dass ihm das Laufen jetzt so viel mehr Spaß machen würde als das langsame Einheitstempo. Zum Schluss kam er übrigens bei seinem 24-Stunden-Debüt gleich auf 197.95km :-O ... was bin ich doch für ein Nockerl ;-)
Aber das ist halt auch, was für mich Ultralaufen ausmacht: die gegenseitige Unterstützung, der Zusammenhalt und der Respekt und die Freude für die Leistung des anderen.
Ich drehte auch weiter meine Runden. Mittlerweile wurde es - zumindest mir - leicht kühler und ich wechselte als erster auf ein Langarm-Shirt. Bloß keine Energie vergeuden, wenn der Körper sich unnötig warm halten muss. Außerdem war das Shirt meiner Wahl das Finisher-Shirt vom OC-Chili-Trail-Run: einer der beiden meiner Läufe, wo ich einen Gesamtsieg feiern durfte. Also eine kleine Zusatzmotivation fürs Unterbewusstsein.
Mittlerweile waren 8 Stunden des Laufs vergangen, das erste Drittel geschafft und bei Carola ging es in ihre geplante 5-stündige Schlafpause von 20h-1h. Danach würde sie Winfried ablösen, damit dieser von 1h bis 6h zu etwas Schlaf kommt.
So recht klappte das aber mit der Ruhephase für Carola nicht. Denn nach 9h ein erster längerer Klostopp von mir im Wohnmobil. Muss aber auch sein und beunruhigte mich noch nicht.
Nachtstimmung, die 100km sind bald erreicht |
Nur wenig später war leider schon wieder ein Boxenstopp bei mir fällig. Nix schlimmes, kein Durchfall, aber dass der Darm in kurzer Zeit soviel Ausschuss produziert, müsste doch bitte nicht sein. Der Darm soll die Energie verwerten und meinen Beinen zur Verfügung stellen und nicht die Nahrung einfach umverpacken und wieder auf die Reise schicken.
Aber jedenfalls war ich nach 12h immer noch gut im Plan, gerade einen Kilometer dahinter, d.h. es lief immer noch in Richtung 200km. Und so fühlte ich mich auch. Es war Mitternacht, ich fühlte mich gut. Seit dem Abend trank ich auch immer wieder schwarzen Tee. Müdigkeitsgefühl hatte ich daher entweder wegen des Tees oder des vielen Schlafs die letzten zwei Tage überhaupt keines.
Nach 12h30 der nächste Boxenstopp: nach einer Stunde schon wieder soviel produziert? Blöder Magen.
Nach 13h habe ich zunehmend Schwierigkeiten das Tempo zu halten. Ich versuche die Gehpausen zu verkürzen bzw. die Gehphasen durch kurzes Antraben zu unterbrechen um ein bisschen Zeit herauszuholen, nachdem das Laufen nicht mehr so locker geht. Die mir bekannte Leere stellt sich ein. Also essen, essen, essen. Nur was? Auf Zucker scheint der Magen sofort zu reagieren, nach 13h30 wieder Klostopp. Da kann doch nix mehr drinnen sein bzw. wenn da was drinnen ist, welche Energie hab ich dann in den Muskeln? Keine ... fühlt sich zumindest so an.
Also Notfallprogramm anwerfen. In der Vorbereitung auf Brugg habe ich ein Rezept gegen Reisediarrhoe gefunden und "Rehydrierungslösung" getauft: 1 TL Kochsalz, 8 TL Zucker, eine zerdrückte Banane (allerdings ersetzt durch Maltodextrin 19) in 1L Wasser auflösen. Das musste es jetzt sein. Runter mit einem halben Liter davon, bis auf weiteres nur gehen, damit der Körper sich mit der Energie füllen kann.
Auch immer wieder für wenige Minuten im Regiestuhl ausruhen, aber auch auf die Betreuer hören, dass ich wieder weitermachen soll. Denn ganz wichtiger Merksatz für Ultras: "If you bring a chair, bring someone to kick you out of it, too".
Irgendwann hatte ich mir auch meinen MP3-Player geschnappt, der lenkte auch ab. Bei Start/Ziel gab es jetzt auch per Beamer Zwischenstände an einer Wand. Und trotz meiner Schwäche rückte ich Platz um Platz vor. Tja, "wer sich bewegt, hat schon gewonnen" - auch so ein netter Spruch.
Aufgrund der Insellage ist die Feuchtigkeit mittlerweile sehr hoch. In der Nacht wabbern Nebelschwaden über das Gelände, eine interessante Szenerie. Der (noch fast) Vollmond verleiht eine natürliche Helligkeit, dazu stehen rings um die Strecke alle 25 Meter Leuchtstoffröhren und sorgen für gute Sicht. Müdigkeit oder Wunsch nach Schlaf ist nach wie vor nicht da.
Ich versuche auch, Denken an Zeit und Distanz soweit als möglich auszuschalten und nur links, rechts, links, rechts, Schritt für Schritt und Runde für Runde zu absolvieren. Mittlerweile ist mein Körper ein einziger Gewitterherd. Überall im Körper blitzt es, mal dort ein Stich, mal da, nie wirklich vorhersehbar, wo es als nächstes einschlägt. Die Fußsohlen brennen, da dürfte es schon einige Blasen geben. Nein, Spaß macht das derzeit wirklich keinen. Aber so ist das mit dem 24-Stundenlaufen. Vorher liebt man es, nachher (?) liebt man es, währenddessen ist es nach einiger Zeit (zumindest für mich) die Hölle.
Irgendwann zwischendurch verlange ich von Carola ad-hoc drei verschiedene Sachen (Gewand, Essen und noch irgendwas - ich weiß es nicht mehr genau), was natürlich nicht klappen kann. In der Sekunde ist meinem Hirn das aber überhaupt nicht klar und ich beginne zu meckern. Glücklicherweise ist genau in diesem Moment Eggi neben mir und entschärft die Lage mit einem trockenen "Ruhig Blut, sie kann nicht zaubern. In der Ruhe liegt die Kraft!".
Nach etwa 19 Stunden (genau weiß ich es nicht mehr, Zeit & Raum sind in der Erinnerung stark verschwommen) und etwa 145 Kilometer teile ich Winfried mit, dass ich jetzt mal nichts mehr riskiere und Laufversuche einstelle. Ich möchte nur mehr sicher bis zur 160 Kilometer-Marke und damit neuer Bestleistung (und Erreichung des Minimalziels) kommen. Und bloß keinen kompletten Einbruch durch Verbrauch der letzten Energiereserven riskieren. Auch Carola informiere ich auf der Laufstrecke. Sie absolviert nämlich gerade im Rahmen des um 6h früh gestarteten 6-Stundenlaufs ihren geplanten langen 3h-Dauerlauf. Und damit sie nicht Strecke suchen muss, halt idealerweise auch im Rahmen der Veranstaltung. Wirkt dann recht lustig, weil ihr Tempo aufgrund der 3h-Gesamttrainingszeit natürlich deutlich über den 6h-Läufern (und erst recht über dem der 24h-Läufer!) liegt und sie locker flockig am Feld vorbeispringt.
Langos-Motivation; Foto-Montage von Jean-Marie & Carola |
Dazwischen lenkten die jetzt doch aufgekommenen Gespräche zwischen den Läufern etwas ab. Roman gesellte sich immer wieder zu mir oder holte mich auch aus meinem Stuhl ab ("komm, spring ein bisschen mit mir"). Die laufende Protokollierung von Essen & Trinken führte auch zu der Vermutung, dass wir hier eine Studie durchführen würden. Nein, tun wir nicht. Wobei: interessant wäre es schon einmal, weil das 24-Stundenlaufen ist meines Erachtens eh zu wenig erforscht.
Auch die Sprüche, die Carola & Winfried am Rand der Strecke deponierten (und die immer wieder anders arrangierten Plüschtiere) sorgten für Erheiterung im Läuferfeld.
Nach 157 Runden dann ein kleiner Schock: meine Uhr zeigte mir eine Runde mehr an als die offizielle Zeitnehmung. Hm, habe ich wirklich einmal irrtümlich bei einer Pause beim Basislager eine Rundenzeit genommen? Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, weil ich bin zwar gaga, aber Zeitnahme ist ein Reflex, den steuert das vegetative Nervensystem, da passiert nix Falsches.
Winfried versucht zu reklamieren, aber während des Laufs und ohne mein Rundenprotokoll ist das natürlich nur schwer möglich. Jedenfalls zeigen sich aber schon zwei klar auffällige Runden, die Kandidaten für ein fehlendes Signal sind. Das werden wir dann nach dem Lauf klären.
Nach 21 Stunden habe ich 160 Kilometer und eine neue Bestleistung erreicht. Mindestziel geschafft, jetzt kann nix mehr passieren. Also probiere ich es mit ein paar Laufschritten. Nein, da geht gar nix. Meine Muskulatur ist durch die Feuchtigkeit sehr kalt, die Knie entzündet, die Füße geschwollen, das Fußgewölbe schmerzt und sticht, die Hüfte rechts brennt. Lieber nur weitergehen, da sind die Schmerzen halbwegs erträglich.
links, rechts, links, rechts |
Motivation |
Kurz vor Schluss gesellt sich John Pares zu Carola und mir und die üblichen Ultragespräche (wer wann wo was gemacht hat/machen wird, IAU, WM, ...) gehen los. Dass John, der jetzt in der Schweiz lebt, eigentlich aus Nordwales stammt und Carola von der Ultra-Trail-WM ebendort sehr angetan war, befeuert natürlich die Unterhaltung. Bei so viel positiver Energie und guter Laune werden meine Beine plötzlich immer schneller beim Gehen und ich verabschiede mich mit einem "I try to push a little bit" nach vorne.
Und dann ist es so weit: was ich mir nach 21 Stunden nicht vorstellen konnte: ich hatte auch nach der offiziellen Rundenmessung (wo immer noch eine Runde m.E. fehlte) die 170km geknackt.
Die letzten Runden brechen an, ich bekomme mein Hölzchen, welches ich nach exakt 24 Stunden an meiner dann erreichten Position fallen lassen werde, damit die exakt zurückgelegten Restmeter ab der letzten Start/Zielüberquerung gemessen werden können. Zwei Runden könnte ich jetzt noch schaffen. Auf der letzten Runde begleitet mich das gesamte Betreuerteam - nicht nur Carola & Winfried, sondern wer sich bei den Fotos bisher über die Plüschtiere gewundert hat: die haben alle ihre speziellen Funktionen in der Betreuer-Crew und verfügen mittlerweile auch über einiges an Ultralaufbetreuungserfahrung. Drei Minuten vor Ende überquere ich ein letztes Mal die Start/Ziellinie. Jetzt noch zwei Minuten gehen und dann werde ich mich überwinden, endlich einen lange gehegten Traum zu verwirklichen. Die letzte Minute eines 24-Stundenlaufs noch zu laufen!
Fertig! |
Jetzt blieb nur noch der Abgleich der fraglichen Runde aus dem offiziellen Zeitprotokoll mit meinen Aufzeichnungen. Und ja, es war eindeutig, dass der Chip einmal nicht ausgelöst hatte. Und so wurde mir die fehlende Runde auch noch gutgeschrieben und ich habe meine neue Bestleistung mit 172,396 Kilometern erreicht. Ein neues Längenmaß, das ich bei der Heimfahrt als "ein Brugg" definiert habe. Hier die grafische Darstellung des Rennverlaufs zwischen Plan und tatsächlicher Leistung ...
Plan pro Stunde und Realität |
Kumulierte Kilometer nach Plan und Realität sowie Differenz |
Und für meine eigene Visualisierung, weil ich mir die Distanz vor und nach einem Lauf ja auch nie vorstellen kann, dass ich das wirklich zurückgelegt habe. Ich habe meine Bestleistung von der Distanz Wien-Enns auf Wien-Ansfelden gesteigert.
Ab hier schaffe ich es in 24 Stunden auf zwei Beinen nach Wien! |
Fazit von Brugg:
*) geniales Betreuer-Team: vielen, vielen, vielen Dank, ohne Euch wäre diese Leistung für mich niemals möglich gewesen!
*) tolle Veranstaltung, mir hat es an nichts gefehlt
*) eine Empfehlung für jeden, der einen 24-Stundenlauf machen möchte, der - im positiven Sinne - auf das sportlich Wesentliche reduziert ist, aber gerade dadurch Topleistungen ermöglicht
*) gute Lage und damit auch für alle Zugreisenden ideal zu erreichen
Bleibt die Frage nach meiner Ultra-Zukunft. Schon vor dem Lauf in Brugg hatte ich für Ende April 2014 den 24-Stundenlauf von Sarvar (Ungarn) ins Auge gefasst. Mit einem Kilometer Rundenlänge, jahreszeitmäßig und anreisetechnisch recht verheißungsvoll. Und immerhin lief die heurige Siegerin in Irdning dort ihre bisherige Bestleistung, die Strecke sollte also gut sein.
Während des Laufs in Brugg kamen mir allerdings starke Zweifel, ob ich mir diese Qual wirklich wieder antun will. Das Durchhalten und Gehen bis zum Schluss zeigt zwar vielleicht Überwindungswillen, Spaß macht es aber nicht wirklich. Für den nächsten 24-Stundenlauf möchte ich bis zum Schluss zu regelmäßigen Laufschritten in der Lage sein, damit ich Freude am Lauf habe und vielleicht wirklich einmal in meine Traumregion von 200 Kilometern vorstoßen kann.
Dorthin führen aus meiner Sicht zwei Wege:
*) Effizienter werden beim Langsamlaufen. Derzeit ist für mich ein Schnitt von 7:00min/km wesentlich anstrengender und unrunder als 5:00min/km. Das bedeutet aber auch, dieses Tempo im Training lange zu laufen, was einerseits zeitaufwändig ist und mir auch kaum Spaß macht. Diese niedrigintensiven Einheiten habe ich alle am Rad absolviert, aber davon wird der Laufschritt nicht effizienter.
*) Wechseltempo 5:00min/km Laufen und Gehen länger durchhalten. Dafür muss ich energieeffizienter beim Laufen werden, denn offenbar brauche ich mehr Energie als der Magen sinnvoll verarbeiten kann. Nach 13-14 Stunden Dauerverdauung kann mein Magen scheinbar nicht mehr. Diese Effizienzsteigerung heißt aber wahrscheinlich lange Einheiten nüchtern zu bestreiten, wovor ich mich auch ziemlich fürchte und auch damit der Spaß im Training dahin ist, wenn's von Anfang an zäh ist.
Beides ergänzt durch eine Umstellung der Ernährung gänzlich aufs Ultralaufen, um bei weniger Gewicht die gleiche Substanz zu haben. Also meine geliebten Sünden (Naschereien & Co) weglassen.
All diese Optionen lösen ad-hoc jetzt mal keine Jubelstürme bei mir aus und für noch mehr "Entbehrungen" neben den durchtrainierten Wochenenden (bzw. der Nichttrainingszeit nur regenerativ auf der Couch, weil ich zu nichts anderem mehr in der Lage bin) reicht die Energie derzeit neben der Arbeitswoche nicht.
Andererseits ist der 24-Stundenlauf für mich die Königsdisziplin des Ultralaufs. Vergleichbar mit Halbmarathon und Marathon: wer kennt ad-hoc einen der Namen der Top-5 der ewigen Bestenliste im Halbmarathon vs. einen der Top-5 im Marathon?
Also 24-Stundenlauf werde ich sicherlich weiterhin machen. Alleine schon wegen meiner jährlichen Benefizaktion (http://martin24h.awardspace.biz), aber auch weil man immer wieder neue nette und tolle Menschen kennenlernt, der Zusammenhalt einfach einmalig ist, ich nur selten sonst diese gegenseitige Motivation eigentlich Wildfremder erlebt habe.
Die Frage ist, ob ich mich von Anfang an auf 150-170 Kilometer-Leistungen beschränke (wobei Irdning 2013 gezeigt hat, dass auch das nicht so trivial ist) oder doch noch versuche, mehr zu erreichen.
Jetzt jedenfalls gibt's mal ein paar Tage lauffrei, damit der Körper sich erholt, ich wieder schmerzfreie Nächte habe (derzeit wache ich noch bei jeder Positionsänderung auf) und dann schauen wir, welches Ziel ich mir für den Valencia-Marathon Mitte November setze. Ob der touristisch wird oder der progressive Halbmarathon in der Wachau mit den letzten vier Kilometern in nur knapp über 4:00min/km doch noch einen Nachbrenner dieser Saison erhoffen lässt, ist noch offen. Die Ausdauer für den Marathon sollte ich ja haben, brauche ich nur noch ein bisschen Speed. Aber das wird mir mein Körper schon sagen, worauf er Lust hat.
Und jetzt trällere ich ein bisschen mit ...
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