Sonntag, 25. Juni 2023

Comrades Marathon 2023

Schon lange habe ich keinen Laufbericht mehr verfasst, aber jetzt gab’s wieder mal einen Lauf, der sich einen Bericht verdient - und eventuell auch anderen bei der Entscheidung “machen” oder “nicht machen” hilft.

Aber warum eigentlich Comrades Marathon in Südafrika, ein Lauf (außer während einer Pandemie) immer Mitte Juni über ca. 90km je nach Jahr entweder von Pietermaritzburg nach Durban (“Down-Run”) oder in die andere Richtung (“Up-Run”)? Naja, weil’s halt auch so eine Legende unter den Ultraläufen ist, die man einfach mal gemacht haben sollte und bei der ursprünglichen Anmeldung 2019 für das Jahr 2020 war meine körperliche Verfassung (im Dezember 2019 den Valencia Marathon recht locker in 3h08 gefinished) auch noch entsprechend, dass so ein Ultra eigentlich Spaß machen sollte. Und mit einem Südafrika-Urlaub lässt sich der Lauf, wenn man schon so weit fliegt, auch gut verbinden.

Dann kam allerdings so eine kleine Pandemie, die Austragung 2020 wurde abgesagt, ebenso 2021. 2022 fand der Lauf als Down-Run wieder statt, allerdings mit Termin im August, was zeitlich überhaupt nicht passte, also die Anmeldung weiter verschoben auf 2023. Heuer war’s dann allerdings so weit, dass man sich entscheiden musste: laufen oder Anmeldung verfallen lassen.

Und es war ein ziemliches Hin und Her. Mit eher suboptimaler und spärlicher Kommunikation seit 2020 hat der Comrades mir irgendwie die Begeisterung für den Lauf genommen. Dazu kommt noch ein ziemlicher körperlicher Abbau in den letzten drei Jahren. Zuerst 2021 viel zu viel Arbeit mit teils durchgearbeiteten Nächten und entsprechend war ich froh auf 30 Wochenlaufkilometer zu kommen, wenn es eine gute Woche war. 2022 dann sieben Monate lang mit einer Schambeinentzündung gekämpft und verbunden damit teilweise dreiwöchigen kompletten Sportpausen. Als es danach langsam aufwärts ging, kam eine Covid-Infektion und gleich 3 Monate später eine weitere mit einem anderen Sub-Typ (bin ein Glückspilz) daher. Damit war außer der Erinnerung an frühere Zeiten vom Lauf-Martin nicht mehr viel übrig. Also wieder sehr langsam aufbauen und dann sah es doch so aus, als ob der Comrades körperlich machbar wäre - wohl kein Spaß- und Genußlauf aber auch kein völliger Kampf ausschließlich gegen die Zeitlimits um in den maximal erlaubten 12 Stunden ins Ziel zu kommen. Und Grund für einen längeren Urlaub (sprich drei Wochen) war der Lauf auch, das würde auch helfen, um von der Arbeit abzuschalten. Die Sicherheitslage in Südafrika ist zwar nicht ohne, aber mit großer Vorsicht und Umsicht sollte es auch zum Urlauben machbar sein. Nachdem das hier ein Lauf- und kein Reisebericht werden soll, spare ich mir dazu weitere Details und nur kurz: Entscheidung Comrades Ja und davor noch 2,5 Wochen von Kapstadt entlang der Küste (“Garden Route”) bis Port Elizabeth tingeln inklusive drei Tage “Safari” mit all den großen (Elefanten, Löwen, etc.) und kleinen (Warzenschweinen, Nashornbabies) Tieren. Dann Donnerstag abend von Gqeberha (das aber alle immer noch Port Elizabeth nennen, weil keiner Gqeberha aussprechen kann) via Inlandsflug nach Durban, Freitag Zeit für Startnummernabholung, Samstag relaxen, Sonntag Lauf, und Montag abend Heimflug. Plan gemacht, Buchungen Ende Jänner erledigt.

Als es Mitte April auf zwar niedrigem Niveau aber doch halbwegs wieder lief, passierte mir bei einer 5x3km Marathon-Pace-Einheit ein Muskelfaserriss im Quadratus Femoris, der allerdings dank Dienstreise auch erst 3 Wochen später (also Anfang Mai) diagnostiziert werden konnte und in der Zwischenzeit dachte ich an einen - was ich oft habe - verspannten Piriformis, dem dosiertes Weiterlaufen (wobei schmerzbedingt ohnehin nur 30 Minuten maximal möglich waren) schon nix tun würde. Tja, falsch gedacht. Und nachdem der Muskel an so ziemlich jeder Bewegung beteiligt ist, war außer kurzem, ganz lockerem Ergofahren fürs Gemüt nix an Bewegung erlaubt um irgendwie eine Chance zu haben, dass ich mich im Urlaub (da waren doch auch kleine Wanderungen Teil des Programms) vorsichtig bewegen könnte.

Und wenig überraschend: vom Comrades wurde mir ärztlich abgeraten :-(

Entsprechend lädiert ging’s dann am 23.5. in den Urlaub nach Kapstadt. Weil’s noch nicht genug war, kamen dann auch am Abend vorm Abflug noch aus dem Nichts Schmerzen im linken Fußgewölbe dazu, sodass ich barfuß kaum Auftreten konnte, mit Schuh ging’s halbwegs, sodass ich wenigstens am Flughafen vorankam. Die Fußgewölbeschmerzen begleiteten mich dann auch noch ca. eine halbe Woche, dann waren sie wieder weg. Keine Ahnung, was das war.

Aber gut, dass soll hier ein Laufbericht und kein Krankenbericht werden. Also Sprung zum Freitag in Durban. Startnummernabholung im Durban Exhibition Center, ca. 1,5km von unserem Hotel entfernt - allerdings die uns mittlerweile in Südafrika wohlbekannte Information: “if you’re not from Durban it’s not safe to walk there, you should go by car”. Aber Uber funktioniert wirklich gut und um weniger als USD 2,- ist man für die Strecke unterwegs. Die Startnummernabholung ist für “International Runner” perfekt organisiert, wir hatten null Wartezeit, man bekommt das vorbestellte T-Shirt, Kuvert mit Startnummern und letzten Instruktionen, Startersackerl und kann sich schon ins Messegewühl werfen. Die Messe ist groß mit vielen Ständen, allerdings auch gefühlt irrsinnig laut - man steht hier auf Lärm (wer erinnert sich an die Vuvuzelas von der Fussball-WM?), die Hallendurchsage ist ohrenbetäubend (zumindest empfand ich es so), entsprechend müssen auch alle Messebesucher miteinander schreien um sich zu verständigen, was sich weiter aufschaukelt. Dazu viel Gewurle - nicht mein Ding. Aber wenn man will, kann man sich schon mit diversen Laufutensilien, Nahrung, etc. eindecken. Die Preise sind allerdings auf europäischem Niveau - eine Beobachtung, die wir übrigens auch in den normalen Sportgeschäften in Einkaufszentren gemacht haben: ein paar Laufschuhe kostet wie bei uns ca. EUR 150,- … und ist bei einem durchschnittlichen Lohnniveau von 50% gegenüber Europa damit für viele nicht erschwinglich. Und offiziell sind ca. 34% der Bevölkerung noch dazu arbeitslos.

Der einzige Stand, den wir länger suchten, weil er im letzten Eck (strategisch klug) war: der Verkauf der Bus-Tickets, die uns Läufer & Innen am Sonntag morgen ab 1h morgens (sic!) vom Zielstadion (“Kingsmead Cricket Ground”) zum Start nach Pietermaritzburg bringen sollten. Aber auch das war geschafft und wir konnten wieder zurück ins Hotel fahren. Danach dann der letzte Laufversuch vorm Comrades um Auszutesten, welcher Schuh am besten zur momentanen “Verfassung” passte. Die Wahl fiel wie erwartet auf den Hoka Rincon 3 - der weichste Schuh in meiner Sammlung. Der sollte auch beim erwarteten Bergablaufgemetzel und nötigen Ferseneinsatz genug Dämpfung geben, sodass die Muskulatur nicht zu sehr mit extremen Stößen zusätzlich belastet wird. Allerdings waren die knapp 4,5km Gesamtdistanz mit davon ca. 3,5 gelaufenen Kilometern in 5:45-5:55min/km auf der brettlebenen Strandpromenade ernüchternd. Alles zieht, nach dem kurzen Lauf bin ich erschöpft wie nach einem voll gelaufenen Halbmarathon. Wie soll das über die Comrades-Distanz funktionieren? Naja, ich probier’s halt und mache mein persönliches “Wings-for-Live”-Format draus: Laufen/Gehen/Kriechen, bis mich der Besenwagen aufsammelt. Weil wenn ich schon hier bin, muss ich es ja wenigstens versuchen.

Samstag dann der Versuch solange als möglich zu schlafen, weil in der Nacht auf Sonntag werden wir ohnehin nicht viel Schlaf abbekommen und ansonsten Kleidung herrichten, Logistik durchdenken, Zeitplan für Sonntag festlegen, Streckenplan nochmals betrachten und ansonsten relaxen.

Rahmenbedingungen für den sonntäglichen Zeitplan: aufgrund von Bauarbeiten auf der Hauptverbindung von Durban nach Pietermaritzburg (im folgenden nur mehr PMB), empfiehlt der Veranstalter eine Stunde früher als sonst wegzufahren, da Staus und eventuelle Unfälle erwartet werden. Normale Fahrtdauer ohne Probleme liegt bei 90 Minuten laut Veranstalter. Entsprechend fahren auch die Shuttle-Busse statt normalerweise ab 2h bereits ab 1h früh. Nachdem wir den Start keinesfalls verpassen möchten und auch kein Stress aufkommen soll - ich geb’s zu, ich plane da immer noch ein paar Extraminuten zusätzlich als Puffer ein -, tüfteln wir/ich diesen Zeitplan für Sonntag aus:

*) 0h37 Tagwache, Frühstück am Zimmer. Alle Hotels in Durban mit halbwegs Laufbezug bieten zwar auch Frühfrühstück an, aber das kostet Zeit, das Frühstücksrestaurant war auch ohne Lauf in der Früh zum Bersten voll, da alle Zimmer belegt waren und daher müssten wir noch früher aufstehen.

*) 1h30 Abfahrt mit dem netterweise vom Hotel angebotenen Shuttle zum Stadion, wo die offiziellen Busse dann nach PMB fahren.

*) 1h45 Abfahrt nach PMB, damit sollten wir bei angenommen 2h30 Fahrzeit auch noch rechtzeitig vor 5h ankommen, um Kleiderabgabe und Einordnung in den Startblock zu schaffen. Die Startblöcke schließen offiziell um 5h15, allerdings wurden in der Vergangenheit teilweise die Startblock-Trennungen auch schon früher aufgehoben, dann gibt’s Chaos und man findet sich plötzlich deutlich weiter hinten im Starterfeld als offiziell zugeteilt. Das wäre nachteilig, weil …

Eine Besonderheit beim Comrades ist, dass die Wertung nur nach Bruttozeit erfolgt, d.h. Start ist um 5h30 und wenn man 10 Minuten bis zur Startlinie braucht, dann hat man eben statt 12 Stunden Zeitlimit nur mehr 11h50 zur Verfügung.

Soweit also der Plan. Und Samstag natürlich so früh als möglich schlafen gehen, aber so wirklich klappte das Schlafen dann noch erst irgendwann zwischen 20 und 21 Uhr - die Nacht war also verdammt kurz bis uns der Wecker wieder weckte.

Alles funktionierte nach Plan bis zum Verlassen des Hotels. Der Shuttle-Dienst vom Hotel war etwas verwirrt und der Kleinbus fuhr nicht und nicht los. Wie sich herausstellte, war der Kleinbus für eine andere Gruppe gedacht und kein Shuttle zum Stadion, sondern direkt nach PMB. Nach 10 Minuten Diskussion klärte sich das dann auf und alle im Bus durften aussteigen und das richtige Shuttle nehmen.

So kamen wir dann kurz vor 2h beim Stadion an, wo die offiziellen Shuttlebusse (normale Autobusse mit so 50-60 Sitzplätzen) schon bestens organisiert in 2er-Reihe vorbereitet waren. Hier gab’s keinerlei vielleicht erwartete afrikanische Improvisation, sondern das funktionierte ebenso klaglos wie wir das aus Boston oder New York kennen. Eigentlich sogar besser als in New York, weil raschere Abfertigung. Und so wurde die Warteschlange zügig zu den Bussen gelotst, geteilt in eine weitere Reihe, wenn ein Bus voll war, und um 2h fuhren wir los. Die Fahrt ging zügig, keinerlei Stau und nach etwas über einer Stunde erreichten wir die erste Autobahnabfahrt am Stadtrand von PMB, an der der Bus vorbeifuhr um dann nur wenige Meter später anzuhalten. Getuschel zwischen Fahrer und Läufern (vorne waren nur Männer), dann dreht sich einer zu mir um: “Do you know how to get to the start because the bus driver doesn’t know?!?”. Hm, ja genau, der Comrades-Novize. Nein, keine Ahnung. Aber ein anderer Läufer hatte sein Handy mit Google Maps mit, somit waren wir sicher. In der Zwischenzeit wurde der Aufenthalt vom Busfahrer sowie einigen Läufer und -innen als Pinkelpause genutzt. Nachdem der Busfahrer sein Geschäft erledigt hatte, die Route nun bekannt war, beschloss er, es geht weiter. Problem: da sind noch 10-20 Leute draußen … Stooooop! Nachdem wirklich wieder alle eingeladen waren (zumindest hat niemand mehr einen fehlenden Sitznachbarn oder -in reklamiert), ging’s dann weiter. Und um 3h15 morgens kamen wir beim Startgelände an - überpünktlich trotz WC-Pause. Da war der Veranstalter wohl übervorsichtig. Aber besser zu früh als zu spät.

Carola hatte die Ehre als Eliteläuferin ins Rathaus hinein zu dürfen, ich spazierte in meinen Normalo-Läuferbereich bei Block B (der Quali-Zeit Valencia 2019 sei Dank) und suchte mir ein aufgrund von Scheinwerferlicht halbwegs warmes Plätzchen. Mit Winterüberhose und 5 Oberschichten war’s dann bei den ca. 7°C Lufttemperatur halbwegs erträglich herumzusitzen und in entspannter Haltung wartete ich, dass die Zeit bis zu den Startvorbereitungen runtertickte. WCs und Pinkelboxen waren in Block B genügend vorhanden bzw. waren es in Block A und B (die waren zusammen) nur etwa 2.000 qualifizierte Läufer und ca. 100 Läuferinnen, was bei 20.000 gesamt natürlich ziemlicher Komfort war. Aus anderen Blöcken las ich später Facebook-Kommentare, dass dort für die Masse in den hinteren Blöcken E, F und G zu wenige WCs gewesen wären. Das ist allerdings auch mit Vorsicht zu genießen, da die südafrikanischen Läufer mit Wienern verwandt sein dürften und generell viel gegrantelt und aufgebauscht (wienerisch “sie pudeln sich auf”) wird. Aber ja, wenn alle Blöcke gleich groß und gleich ausgestattet sind, dann macht es sicherlich einen Unterschied ob 2.000 Leute in einem Block sind oder 5.000.

So verging die Zeit. Nachdem das Frühstück doch schon drei Stunden her war und zum Start auch noch zwei Stunden Zeit waren, gab‘s noch einen weiteren Riegel und ein Isogetränk. Wird ja ein langer, weiter Weg werden.

Achja, an dieser Stelle mal ein Ausblick, was mich erwartet. Wie oben geschrieben findet der Lauf von PMB nach Durban oder umgekehrt statt. Allerdings ändert sich die Streckenführung jährlich ein wenig aufgrund von Baustellen auf der Strecke, dem Weg raus aus PMB, sodass die Distanzen zwischen 88 und 92km schwanken können. Ebenso war das Ziel in Durban die letzten Jahre im Moses Mabhida Stadion (bekannt von der Fussball-WM), welches etwas nördlicher in Durban gelegen ist. Heuer ging es aber wieder zurück zum traditionellen Zielort mit dem kleineren Kingsmead Cricket Ground, was eine - im Moses Mabhida bekrittelte fehlende - dichtere, familiärere Atmosphäre erwarten ließ, so die Erwartung vieler Läufer (Fun Fact: nachher beschwerten sich viele, dass es viel zu eng war :-D). Außerdem ist das Kingsmead flexibler verfügbar als das gut gebuchte Moses Mabhida. Für meinen Zustand natürlich super, weil damit die Strecke schon automatisch zwei Kilometer kürzer wird. Und dann wurde der Down-Run heuer am Weg von PMB raus weiter optimiert, sodass es 2023 der kürzeste Down-Run jemals mit lediglich offiziell 87,7km sein würde.

Down-Run klingt auch einfacher, weil‘s von dem ca. 700m hoch gelegenen PMB nach Durban runter ans Meer geht. Allerdings ist das Streckenprofil hinterhältig, da die ersten fast 60km wellig sind mit einem kontinuierlichen Auf und Ab, die sich auf etwa 1.000 Höhenmeter hinauf sowie bergab summieren. Die Anstiege sind oftmals 1 bis 1,5km lang und im Durchschnit 4-5% steil. Erst auf den letzten knapp 30km geht‘s dann 800 Höhenmeter runter und nur mehr lediglich etwa 100 Höhenmeter rauf. Wirklich flach ist es praktisch nie, es geht mehr oder weniger steil rauf oder runter. Offizielle Labestationen gibt es 42 entlang der Strecke, d.h. mit ein klein wenig Mathematik im Schnitt alle 2-3km, damit sollte es versorgungstechnisch kein Problem geben. Zeitlimit für den Spaß ist ab der Startkanone 12 Stunden, wobei es dazwischen auch einige Cut-Offs entlang der Strecke gibt:


Das ist übrigens am ansonsten gut organisierten Event auch so eine Sache: bei der Bekanntgabe fanden sich zunächst nur die Orte mit den Cut-Off-Zeiten, die zugehörigen Kilometerangaben gab‘s bei der Verlautbarung zunächst nicht, die kamen erst irgendwann später auf die Homepage. Wie man sieht, sind die Cut-Offs nicht gleichmäßig verteilt, weil für die 87,7km in 12 Stunden braucht man einen Schnitt von 8:13min/km, muss allerdings zwischen den Cut-Offs zeitweise schneller laufen, durfte dafür gegen Ende bummeln.

Mit den Gedanken an diese Strecke und dem Vorsatz vorsichtig zu Laufen, d.h. langsamer als 6:00min/km, Anstiege frühzeitig zu gehen, und im Falle von körperlichen Problemen weiterzuwandern bis der Besenwagen da ist oder ich einen Cut-Off verpasse, wurde es dann 4h45 und ich entledigte mich meiner Überbekleidung, gab den Kleidersack ab, trabte ein paar wenige Schritte - fühlt sich überraschend gut an - und marschierte in den gut kontrollierten Startblock. Da kamen wirklich nur „B“s rein. Plastikponchos sind hier übrigens verboten, dank der Mitwartenden wurde es mir mit kurzer Hose, Ärmlingen, Kurzarm-Shirt und Langarm-Shirt nicht kalt. Um 5h20 dann der Versuch, den traditionellen Startablauf mit Rede, südafrikanischer Hymne, Shosholoza (ein eigentlich von Immigranten aus Zimbabwe mitgebrachtes Arbeiterlied, das aber von Südafrikanern vereinnahmt wurde), Chariots of Fire und letztlich imitierter Hahnenschrei zu starten. Leider versagte die Soundanlage und produzierte laufend Aussetzer. Aber kein Problem, das Feld intonierte einfach selbst Hymne und Shosholoza. Chariots of Fire funktioniert dann wieder halbwegs vom Band. Der Hahnenschrei krächzte allerdings nur sehr jämmerlich. Dann parallel geplant der Schuss mit der Startpistole sowie der traditionellen Startkanone. Tja, das funktionierte nicht synchron, die Pistole schoss mit einem leisen, schüchternen Peng, die Kanone blieb stumm. Das Feld setzte sich in Bewegung und einige Sekunden später ging‘s dann Bumm durch die Kanone. Offiziell zählte dann das Kanonen-Bumm, sparte also ca. 7 Sekunden.

So trabte ich auch vorsichtig los, hatte ich doch in einigen Laufberichten gelesen, dass es am Start dunkel ist, die Straße löchrig und man leicht über abgeworfenes Gewand der Vorleute stolpern würde. War dann gar nicht so - ich fand die Beleuchtung eigentlich ausreichend, die Straße war gut und dank des Poncho-Verbots lag auch nix rum, da die meisten ihre letzte Langarm-Schicht (so wie ich) noch viele Kilometer tragen würden, bis die Luft sich aufwärmte.

Die ersten kurzen Bergaufstücke raus aus PMB kamen auch bald und ich wechselte in den Gehschritt - ich hatte ja nur ein Ziel und das war Finishen. Keine Notwendigkeit mich zu stressen und Energie zu vergeuden. Nach etwa einer halben Stunde setzt dann langsam die Dämmerung ein und ich beginne mich auf den Sonnenaufgang zu freuen. Das ist auch bei den 24/48-Stundenläufen einer meiner Lieblingsmomente (bevor ich kurz danach jammere, dass mir in der Sonne viel zu heiß ist). Und dann ist es soweit und langsam wird die Umgebung erkennbar. Wir sind gerade auf einer am Hügelrücken gelegenen Straße und es gibt einen herrlichen Blick auf die in Nebel verhüllte tiefer unten liegende Ebene. Mystisch schön.

Etwa hier läuft ein Läufer an mir vorbei, bisschen längeres Haar, entspannter, aber unverkennbarer Laufstil, das ist doch der Harry W. … und auf seinem Shirt steht auch Harry. “Hallo, hallo”, eh klar, dass wir zwei Österreicher uns hier unter 20.000 Läuferinnen finden. Wir plaudern ein wenig miteinander, Harry berichtet von zwei interessanten Gesprächen, die er schon hatte, ich kann da mit nichts aufwarten. Aufgrund meines vorsichtigen Starts werde ich nur permanent überholt, da bieten sich keine Gesprächsmöglichkeiten. Auch Harry wünsche ich bald Alles Gute und lasse ihn ziehen, weil er mir einfach zu flott ist.

Einige Labestationen haben wir mittlerweile auch hinter uns und neben den kurzen Abständen zwischen den Laben ist auch das Konzept der eingeschweißten Wasser- oder Iso-Packungen genial. Geschätzt 0.2lt Flüssigkeit werden in einen Plastikbeutel gefüllt und verklebt. Beim Laufen beißt man dann ein kleines Loch rein und kann den Beutel auszuzeln. Das hat einige Vorteile: auch wenn Plastik nicht so ökologisch ist, so ist der Mist in Summe deutlich weniger als mit Bechern, weil man nur einen Beutel und nicht 2-3 Becher braucht. Denn: aufgrund des kleinen Lochs verschüttet man nix und kann die Flüssigkeit komplett austrinken. Man kann den Beutel einfach mittragen, hat keinen Stress beim Leeren und schüttet sich auch nicht an dabei. Also das Konzept hat mich überzeugt und um es vorweg zu nehmen: ich habe mich den gesamten Lauf über praktisch nur mit Iso ernährt, Wasser ganz wenig zum Nachspülen, aber hauptsächlich zum Abkühlen und Banane oder gekochte Kartoffel nur zur Beruhigung, wenn der Magen vor Flüssigkeit zu viel gluckerte. Dazu noch bei km 20, 40, 58, 73 je ein Gel aus der Hosentasche.

Beim ersten Gel und somit nach 20 Kilometern kommen erste Glücksgefühle auf: ich bin jetzt mehr als vier Mal soweit gelaufen/gegangen als bei meinen Laufversuchen während des Urlaubs bzw. auch beim freitäglichen Test. Und es zieht zwar ein wenig herum, aber es ist nicht wirklich schlecht oder total verspannt oder verkrampft. Die vielen Tapes an beiden Oberschenkel vorne und hinten sowie ein Gesäßtape rechts scheinen zu helfen. Flott ist es zwar nicht mit einem Halbmarathon in etwa 2h14, aber für das 12-Stundenzeitlimit reicht es hochgerechnet bis hierher bei Weitem. Und die ersten knapp über 400 Höhenmeter bergauf zum nun höchsten Punkt der Strecke liegen auch schon hinter mir. Bergab waren es übrigens etwa 280 Höhenmeter zu diesem Zeitpunkt. Wellig es ist.

Mittlerweile werden auch die Zuschauerinnen an der Strecke mehr und mehr - darunter auch viele, die auf Übergewand, dessen sich das Läuferfeld nun mehr und mehr entledigt, warten und es dankbar aufsammeln. Auch ich teste, wie es sich ohne dem Langarm-Shirt temperaturmäßig läuft. Passt ganz gut, das brauche ich jetzt nicht mehr. So trage ich es noch ein wenig mit mir mit, bis ich an einer Stelle eine Mutter mit zwei Kindern erspähe, die - im Vergleich zu so manch anderen Kleidersammlern - den Eindruck erweckt, dass ihr mit meinem Shirt wirklich gut geholfen wäre. Entweder zum Eigengebrauch oder zum Weiterverkaufen. Und während ich an ihr vorbei laufe biete ich ihr mein Shirt  an - es wurde gerne angenommen.

Neben den Kleidersammlern wird auch die Menge von begeistert das Läuferfeld anfeuernden Menschen mehr. Und die ersten bauen ihre privaten Laben auf, denn wir Läufer könnten ja zwischen den offiziellen Laben darben. So gibt’s ab hier bis ins Ziel alles was man sich wünscht - oder auch nicht (wie Erdnussbuttersandwich ;-)). Auch der Griller wird angeworfen. Es artet zu einer großen Party aus und so kommen wir nach Cato Ridge, dem ersten Cut-Off mit maximal 4h30 erlaubter Laufzeit. Mit 3h12 Laufzeit habe ich mir hier schon einen guten Zeitpolster erarbeitet.

Tempomäßig bin ich übrigens schon länger im Bereich des 9h30-”Bus” unterwegs - mit “Bus” wird hier die Ansammlung der Läufer hinter einem der offiziellen Tempomacher bezeichnet. Aber auch später, wenn sich einfach Läufer in größerer Menge zusammenfinden, wird ein “Bus” angefeuert - here comes a good looking bus, keep on running! Der Pulk um den 9h30-”Bus” ist mir etwas zu dicht und läuft auch nicht ganz meinen Rhythmus. So laufe ich mit etwas Abstand hinterher, den Bus vor mir im Blick. Bergauf ziehen sie davon, bergab rolle ich interessanterweise wieder in den Bus rein. So geht das Spielchen bis zu etwa km39, also knapp vor Drummond, dem “Half-Way-Point”. Hier geht’s dann für mehr als 2km nur bergauf und meine Oberschenkel sind mittlerweile doch schon gut gequält von 575 Höhenmeter rauf, 530 runter und über 4h Laufen. So wandere ich den Anstieg rauf, während der Bus mit einem Rhythmus von 1 Minute laufen, 1 Minute gehen oder so davon zieht. Knapp danach kommt dann auch ein 10h-”Bus” (es gibt mehrere Busse mit der gleichen Zielzeit). Der scheint etwas übermotiviert zu sein, weil in dem Tempo laufen sie wohl eher unter 9h45 als unter 10h. Naja, egal, ich will ja nur sicher das Ziel sehen und dazu darf bei der Muskulatur nix kaputt gehen. Irgendwann - also etwa nach 20 Minuten - ist der Anstieg dann endlich vorbei und als Belohnung geht’s gefühlt steil bergab zum nächsten Cut-Off. Oh nein, das ist noch schlimmer als das Raufwandern, die Oberschenkel schmerzen, es rollt nicht runter, aber irgendwie geht’s dann doch so.

6h10 ist das Limit beim Cut-Off in Drummond, ich bin so bei 4h49 durch, habe das Zeitpolster also konstant gehalten. Und ich rechne: für das 12-Stundenlimit habe ich noch 7h10 Restlaufzeit. 43,3km sind es noch an Distanz. Mit einem Gehtempo von 10min/km (=6km/h), wo ich aber selbst auf den durchgewanderten Anstiegen schneller ging als 10min/km, geht sich das aus! Wenn die Muskulatur durchhält, dann sollte ich mein Finish eigentlich in der Tasche haben! Juhu! Dieses Wissen tut gut. D.h. ich kann jetzt gehen und wenn mir danach ist, dann streue ich laufen ein, weil noch 7 Stunden Wandern zieht sich dann schon auch.

Aber zurück ins Jetzt und Ende der Hochrechnung. Kaum sind die 130 Höhenmeter bergab vernichtet (wozu mussten wir vorher rauf? Achja, gibt keine andere Straße), geht’s aber auch schon wieder bergauf. Dieses Mal etwa 3km kontiniuerlich bergan. Langsam verstehe ich das Attribut “Ultimate Human Race”, dass sich der Comrades gibt. Also weder von der Länge noch den Höhenmetern ist es Ultimate - da gibt’s längeres, höheres, etc. Aber mental ist es schon herausfordernd, weil es eben nie eben ist und dieses wellige an den Nerven zerrt. Und trotz Asphalt ist erholen schwierig. Oben angekommen war glaube ich dann Arthur’s Seat, eine Art kleine Bank im Fels, wo sich der legendäre Arthur Newton - 5maliger Comrades-Sieger in den 1920ern - angeblich immer ausgeruht hat. Die Legende besagt, dass Läuferinnen, die Arthur hier die Ehre erweisen, eine tolle zweite Laufhälfte haben werden. Mir ist es zu beschwerlich, die Straße zu kreuzen, und außerdem war ich auch schon fast vorbei, bis ich aufgrund der fehlenden Streckenkenntnis kombiniert hatte, warum da alle hinrennen. Arthur’s Seat hatte ich zwar gelesen, aber das war für mich abstrakt irgendwo auf der Strecke. Tja, hoffentlich wird sich das nicht rächen, dass ich den guten Arthur rechts liegen ließ.

Wellig (was sonst?) ging’s weiter nach Botha’s Hill bei etwa km51. Aber ab hier sollte es nun - mit einigen giftigen Gegenanstiegen - fast nur mehr bergab gehen. Wobei mir mittlerweile weiter bergauf lieber wäre, weil bergab tut’s einfach nur mehr furchtbar weh in den Oberschenkeln vorne. Mehr Krafttraining wäre gut gewesen und Training von exzentrischer Bewegung bergab. Aber hilft nix. Jetzt umdrehen wäre auch blöd.

Und meine Uhr zeigt mir an: 14 von 18 Anstiegen sind geschafft. Es wird, es wird. Und: wenn’s zu sehr schmerzt, ich kann ja gehen, es ist Zeit genug. Und meine rechnet auch je nachdem ob ich trabe oder gehe, eine Zielzeit zwischen 10h bis 11h aus. Das bedeute eine Bronze-Medaille. Weil auch das ist eine Comrades-Besonderheit, je nach Zielzeit gibt’s unterschiedliche Finishermedaillen:



D.h. ob ich jetzt 10h01 oder 10h59 laufe ist ziemlich powidl, es wird so und so die Bronze-Medaille. Und sub10h ist leider unrealistisch.

So kommt dann auch Anstieg 15 (von 18) bei etwa km54 - der ist kürzer, nur 900m mit 40 Höhenmetern. Hier steht das Publikum übrigens mittlerweile wie bei den Bergwertungen der Tour de France und pusht das Feld. You are almost there, you are almost there! Keep on going!

Und dann bin ich auch bei diesem Anstieg oben, die Uhr zeigt an: nächster Anstieg in 15 Kilometern. Hui, jetzt geht’s wohl wirklich runter. Teilweise steiler, da muss ich gehen, teilweise angenehm bergab, da kann ich’s rollen lassen. Und natürlich permanente Laben. Bei einer greife ich wieder mal zu einem Stück Banane für den Magen, verfehle sie allerdings. Kein Problem, in 100m oder weniger steht eh der nächste Helfer denke ich mir und trabe weiter. Plötzlich höre ich Schritte hinter und gleich darauf neben mir. Was ist denn das für ein gestresster Läufer? Nein, es ist kein Läufer, sondern der Labemeister bei dem ich die Banane verpasst habe, der mir nachsprintet, damit ich zu meiner Banane komme. Ich bin baff und überwältigt - das nenne ich Einsatz und da fühlt man sich als Läufer so was von gut betreut und wertgeschätzt. Unglaublich! Das gibt dann auch gleich nochmals Kraft und Motivation, den Lauf zu genießen und alles für ein Finish zu tun.

Der nächste Cutoff in Winston Park nähert sich. 57,7km sind geschafft, 8h10 hätte ich Zeit, nach ca. 6h35 bin ich da, Zeitpolster wieder etwas ausgebaut. Passt! Die Strecke selbst ist jetzt landschaftlich nicht mehr so beeindruckend, die Stimmung dafür umso mehr. Das Publikum wird immer dichter und frenetischer.

So komme ich zum nächsten Cut-Off in Pinetown. 68,9km sind erledigt, 9h20 Zeitlimit, ich bin in etwa 8h02 dort, also etwas vom Zeitpolster verloren, was aber auch zu erwarten war, denn für die Strecke von Winston Park nach Pinetown war für einen konstant bleibenden Zeitpolster eine Pace von 6:16min/km erforderlich - ziemlich ambitioniert für angeschlagene Läuferhaxn. Und auch im Nachhinein eine große Kontroverse, weil hier viele den Cut-Off nicht mehr schafften, da sie bei Winston Park knapp durchkamen und dann von der nötigen Tempoverschärfung überrascht wurden. Anmerkung: gemeinerweise muss man sich die benötigte Pace selbst ausrechnen, die schreiben die Comrades-Organisatoren nicht dazu. Und wer eine konstante Pace nach Pinetown erwartet hatte, erlebte dann ein Drama.

Aber gut, auch diesen Cut-Off hatte ich überstanden und ab hier war’s wieder gemäßigt mit einer Mindestpace von 8:02min/km bis zum letzten Cut-Off-Punkt in Sherwood und danach überhaupt 9:23min/km, also quasi ein Spaziergang ins Ziel. Nachwievor galt: wenn ich nicht komplett kaputt gehe, habe ich das Finish in der Tasche! Aber demütig bleiben, wenn mein Muskelfaserriss wieder akut wird, dann schaffe ich es dennoch nicht, weil dann kann ich mich praktisch nicht mehr bewegen.

Nach Pinetown fanden die 15km bergab ein Ende und Anstieg 16 von 18 wartete. Neben dem Publikum motivierte mich dann auch, dass ich hier viele andere bergauf überholte. Kraft und Ausdauer waren wie durch ein Wunder immer noch da. Durch das permanente Iso-Trinken hatte ich auch nie ein Hunger- oder Leeregefühl. So ging’s die Bergwertung 16 rauf und die Belohnung dieses Mal war der Blick auf Durban und das Meer. Zwar noch ein schönes Stück entfernt, aber wir kommen näher und näher. Wie meinte ein Zuschauer: Hey, runners, you can smell the sea already! Keep on going! … naja, ich hab mehr den Braai (südafrikanische Grillerei) gerochen.

Mittlerweile waren wir auch auf der Schnellstraße/Autobahn nach Durban rein gelandet. Publikum gab’s nachwievor, denn es wurde kurzerhand auf der Gegenfahrbahn geparkt und dann rübergelaufen zum Anfeuern. Ebenso Hupkonzert der Vorbeifahrenden. Auch von den Auffahrten wanderten Zuschauer die Strecke entlang. Comrades ist einfach ein Muss für die Bevölkerung aus der Gegend! Einziger Nachteil der Schnellstraße/Autobahn. Aufgrund der Tempoausrichtung auf motorisierten Verkehr und nicht kaputte Läuferbeine, sind die Kurven nicht nur bergab geneigt, sondern auch überhöht. Der Läufer darf daher nicht nur mit schmerzenden Oberschenkel in Laufrichtung bergab stabilisieren sondern auch noch links/rechts. Nicht angenehm, gar nicht angenehm. Aber gehend geht’s - nur frustrierend, weil das Feld gefühlt an mir vorbeizieht. Aber mach’ einfach weiter, es ist ja bald vorbei … also so in etwa 15km, was wohl noch gute (kann man hier von gut sprechen?) 2 Stunden sein werden. Naja, länger Zeit, die Stimmung zu genießen.

Links, rechts, links, rechts, gehen, laufen, gehen, laufen … es geht vorwärts, Anstieg 17 geht vorüber und dann bin ich in Sherwood, dem letzten Cut-Off nach 81,3 geschafften Kilometern. 11h Zeitlimit, ich bin nach 9h32 dort, Vorsprung wieder ausgebaut und jetzt habe ich knapp 2,5 Stunden Zeit für 6,4km … also jetzt könnte ich sogar kriechen.

Durchlaufen von hier ins Ziel schaffe ich nicht, bringt auch nix, weil für eine “bessere Medaille”, sprich sub10h müsste ich unter 5min/km laufen, das geht nicht. Außerdem möchte ich auch ein bisschen Kraft sammeln, weil die letzten 2km wird’s noch mehr Publikum geben und es sollte flach sein, dort möchte ich dann nicht mehr gehen müssen. Hab’ ja doch auch ein wenig meinen Läuferstolz.

4km vor dem Ziel wartet Anstieg 18 von 18! Jawohl, auch das ist geschafft. Sagt auch das Publikum: You got it, you got it, almost there, only 3k to go! Naja, ein bisserl mehr noch, aber ja, weit ist es nicht mehr.

Dann kommt auch tatsächlich das 3km-to-go-Schild, yeah. Noch eine taktische Gehpause, dann kommt das 2km-Schild in Sicht. So, Martin, jetzt ist nix mehr mit Gehen, jetzt läufst Du das Ding fertig, weil müde und leer bist Du nicht, also tu! Okay, okay, ich mach’ ja schon. Ich bitte das Publikum uns anzufeuern - Please make some noise, we need you! Das hilft mir und auch anderen im Feld. 1km noch, am Ende der Straße sehe ich schon den Linksknick, der uns zum Kingsmead Cricket Ground bringt. Abbiegen, dann kurz geradeaus und dann geht’s rechts ins Stadion rein auf die 3/4 Stadionrunde ins Ziel. Die Stimmung auch hier ist gut, aber aufgrund der Zäune (oder ist es doch meine Müdigkeit) sehe ich das Publikum auf den Rängen gar nicht so - da war die Anfeuerung auf der Strecke fast noch mehr als hier beim Zieleinlauf. Aber ich genieße den Lauf auf der Wiese dennoch, freue mich unheimlich, dass der Lauf funktioniert hat, dass das in der Früh doch eher für unmöglich gehaltene doch möglich geworden ist und ich sogar deutlich unter dem 12-Stunden-Zeitlimit ins Ziel komme.

Kurz überlege ich noch einen Zielsprint zu machen, die Kraft wäre da, aber ich lasse es sein. Für die paar Sekunden eine neuerliche Verletzung infolge der angeschlagenen Muskulatur zu riskieren lohnt sich nicht. Und so genieße ich einfach die letzten Meter ins Ziel.

10:16:09 sind es geworden. Und hier die offiziellen Statistiken:



Obwohl es sich anfühlte, als ob das Feld mich bergab überrollt, habe ich ab Pinetown doch kontinuierlich Plätze in der Gesamtwertung, Altersklasse und auch Geschlechterwertung gut gemacht. Also hinten raus offenbar doch gar nicht so schlecht eingeteilt mit der Kraft.

Aufgrund des kürzesten Down-Run jemals gab’s dann auch neue Streckenrekorde: der Sieger benötigte 5:13:58 - ein flockiger Schnitt von 3:35min/km. Und der neue Streckenrekord der Damen lautet auf 5:44:54, eine durchschnittliche Kilometerzeit von 3:56min/km. Unglaubliche Zeiten für die Distanz und vor allem die brutalen Höhenmeter!

Im Ziel ging’s dann schnurstracks in die “International Runners”-Area. Das war im Vergleich zu der nicht vorhandenen Erholungszone für die einheimischen Läuferinnen super, weil man konnte in Ruhe in der Wiese sitzen … oder sich einen Sessel organisieren, weil von der Wiese wäre ich gar nicht mehr hochgekommen. Getränke und ein Lunch-Paket gab’s ebenso und auch Carola traf ich dort - sie hatte den Lauf nach 8h33 beendet, musste aber gar nicht so lange auf mich warten, da sie zwischenzeitlich mit ihrer Gewandsuche beschäftigt war. Aber das erzählt sie Euch am besten in ihrem eigenen Bericht :-D

Nach einer Stunde war ich dann halbwegs bei Kräften und die letzte Herausforderung des Tages stand an. Nachdem die Läufer im Stadion ja die Runde laufen, muss man vom Innenfeld über eine wirklich steile Treppe auf den Übergang über die Läuferstrecke hoch und auf der anderen Seite auch wieder runter. Das war wirklich brutal - noch viel brutaler als die paar Stiegen in der Frankfurter Messehalle (wer’s kennt). Noch dazu dichtes Gedränge, weil die Treppe vielleicht 4m breit war und lauter angeschlagene, erledigte Läuferinnen sich da rauf und runter quälten. Wie das vom Sicherheitskonzept her genehmigt werden konnte, ist mir ein (südafrikanisches) Rätsel. Aber es ging alles gut, auch die eine Läuferin, die sich oben angekommen von Krämpfen geplagt mal hinlegte, kam wieder auf die Beine noch bevor die Sanitäter sich mit einer Trage hochgekämpft hatten. Ich glaube, das war auch für sie angenehmer, selbst weiterzukommen als 60 Grad geneigt in der Trage runter transportiert zu werden.

Und dann noch das abschließende Highlight: vom Stadion sollte man natürlich auch nicht zum Hotel gehen, weil gefährlich. Allerdings hatten wir weder Handy noch Geld mit (weil Sicherheit und keine Wertgegenstände im abgegebenen Gepäck) und Taxis einfach so heranwinken ist in Südafrika sowieso auch nicht. Also nahmen wir das “Risiko” und machten uns per pedes auf den Weg Richtung Strandpromenade, an der auch unser Hotel lag. Dabei trafen wir dann auch ein Zuschauerpärchen am Heimweg, welches wir zunächst fragten, ob wir ohnehin am richtigen Weg sind (die Orientierung fehlte uns ein wenig) und dann, ob sie eventuell in die gleiche Richtung gingen und wir uns zwecks Sicherheit anschließen dürften. Ja, sie sind am gleichen Weg und gefährlich ist es jetzt nicht so, wenn wir nicht ein Handy öffentlich zeigen würden. Okay, schaffen wir, weil wir haben eh keines dabei. Dann ein bisschen Plaudern woher wir kommen, wie der Comrades war, zu welchem Hotel genau wir müssen und dann die Frage: wir parken eh da vorne, dürfen wir Euch zum Hotel fahren, weil ihr könnt zwar gehen, aber das dauert doch einige Zeit und ihr habt’s eh schon genug gemacht heute. Ja, also das wäre natürlich supertoll. Vielen Dank!

Und so hatten wir dann auch noch zum Abschluss einen angenehm kurzen Weg ins Hotel - auch das ist Südafrika, es wird improvisiert und gegenseitig geholfen. Ein weiteres Beispiel dazu auch aus dem Alltag: die Hauptverbindungen außerhalb der großen Stadtautobahnen sind alle meist nur je Richtung einspurig mit einem Pannenstreifen auf jeder Seite. Um den Verkehrsfluss möglichst effizient zu halten sowie auch sicher überholen zu können, ist es einfach üblich, dass der Langsamere bei Annäherung eines Überholungswilligen links auf den Pannenstreifen ausschert und sich überholen lässt - dafür gibt’s dann ein Danke via Warnblinkanlage, welches der Überholte mit der Lichthupe quittiert. Selbiges Prinzip übrigens auch bei Gegenverkehr - hier wird auch mal in den Gegenverkehr hinein überholt, weil der Gegenverkehr ohnehin auf den Pannenstreifen ausweichen kann. Dieses Miteinander und Rücksichtnahme ist dann auch Südafrika! Ein Land der Gegensätze.

Am Montag spazierten wir noch äußerst gemächlich die Strandpromenade ein wenig auf und ab. Man nickte sich gegenseitig zu - es war ziemlich klar ersichtlich, wer da gestern was gemacht hatte :-). Und dann ging’s zum Flughafen: auch dort das gleiche Bild, Comrades-Teilnehmer waren klar identifizierbar (auch jene ohne Medaille und Finisher-Shirt). Aber erstaunlicherweise schaffte ich den Rückflug ohne Krämpfe und auch dem Gesäß geht’s eigentlich besser als vorm Lauf - das war wohl eine ziemliche Radikalkur bzw. werden die Beschwerden wohl durch die komplett kaputten Oberschenkel überlagert - schon lange nicht mehr so einen Muskelkater gehabt, aber es war es wert und damit Ende gut, alles gut. Es war mir eine Ehre, es hat mich sehr gefreut!

Hier noch das offizielle Video von meinem Zieleinlauf - ich glaube, ich freu’ mich :-D