Backstage-Bericht von Carola mit bisher unveröffentlichtem
Bonusmaterial.
Ganz ohne Betreuung funktioniert Ultralauf
nicht gut, daher kommt jetzt auch mal die Betreuerin zu Wort.
Nach ziemlich stressigen Tagen davor ging es
am Freitag Nachmittag nach Vogau. Für meinen Spaß noch davor nach Graz zum
Stiletto Run. Solche Läufe hatten mich, seit ich von deren Existenz weiß,
gereizt. Dass es gerade an dem Tag, wo es nach Vogau ging, in Graz einen
solchen Lauf gab und ich auch noch einen Startplatz gewann, war mein Glück.
Martin konnte ich auch zu diesem Abstecher überreden und so wurde es
Wirklichkeit. Der erste Sprint fand schon mal zum Start statt (da zum Glück
noch mit Sneakers), da ein extramühsamer Stau (bei ca. 30°C) uns knapp eine
Stunde gekostet hatte. Mit ein bisschen Bitten, ein bisschen Diskutieren und
ein bisschen Streiten konnte ich die Verantwortlichen überzeugen, mir beinahe
eineinhalb Stunden nach Ende der Startnummernausgabe doch noch Chip und
Startnummer zu geben. Nach 88 Meter Sprint in High Heels (eh nur 8 cm) wusste
ich: Ich bin keine Sprinterin, zumindest nicht halb verletzt, und schon gar
nicht in Stilettos. Die Konkurrentinnen, gegen die ich in meinen Lauf
zurückblieb, gereichten mir nicht gerade zur Ehre. Mein Glück war nur, dass bei
der Express-Anmeldung offensichtlich etwas schief gelaufen war, so dass bei
meinem Ergebnis nicht mein Name sondern nur „TN unbk.“ aufschien. ;) Nach
diesem Exkurs, den ich halbwegs unbeschadet (es war danach nicht viel schlimmer
als davor) überstanden hatte, ging es nun weiter zu unserem wirklichen Ziel,
Vogau.
Das Wettkampfgelände und unser Stellplatz
waren schnell gefunden, letzterer war nur etwas kleiner als erwartet. Wir
schafften es dann doch, uns einzuparken und dann ging’s auch schon zur
Startnummernabholung. Schon im Vorfeld war mein Eindruck der einer sehr nett
gemachten Veranstaltung – zum Glück, denn schließlich hatte ja ich Martin auf
die Idee gebracht, nach Vogau zu fahren – so waren meine Erwartungen auch eher
hoch. Nicht nur für Martin, auch für mich selbst. Nicht laufen zu können und
dann womöglich bei einem unguten Lauf Zeit zu vernichten wäre recht
frustrierend gewesen. Der erste Eindruck bestätigte meine Erwartung jedoch.
Freundlich, kompetente, hilfsbereite Menschen überall. Freundliche Begrüßung,
Startnummer übergeben, richtige Größe des Starter-T-Shirts herausgefunden und
dann ging’s zu Pasta Party, von der wir im Vorfeld nichts gewusst hatte, die
uns jedoch durchaus freute. Plätze gab’s drinnen im Gemeindeamt und draußen an
der Strecke genug, angesichts der Hitze und stickigen Luft war es Freitag Abend
draußen deutlich angenehmer.
Nach der Pasta Party war die
Streckenbesichtigung dran. Eine flache Strecke bei der keine Steigungen
störten, aber die zu erwartende Hitze könnte unangenehm werden, da es einige
der Sonne ausgesetzte Abschnitte gab. Überall entlang der Strecke waren
Stellplätze für die Teilnehmer markiert, teilweise auch in den Gärten der
Anrainer :). Die Einwohner sind hier offensichtlich voll dabei.
Schließlich hieß es noch den Zeltpavillon
aufzubauen, der am nächsten Tag die Verpflegung und mich vor Sonne und Regen
schützen sollte. Eine Premiere, Martin hatte ihn erst wenige Tage vor dem Lauf
geliefert bekommen. Diese Herausforderung klappte gut, dabei lernten wir auch
schon die benachbarte Viererstaffel kennen. Sie borgten sich Werkzeug von uns
aus und halfen uns im Gegenzug beim Aufbau. Es war noch nicht wirklich spät,
ich aber dennoch schon ziemlich kaputt. Zum Glück schien Martin fitter zu sein
als ich, bei ihm würde es ja wirklich darauf ankommen. Es dauerte noch etwas,
bis wirklich alles vorbereitet war, aber dann ging es endlich ins Bett, ich
konnte schon nicht mehr aufrecht sitzen und der nächste Tag würde ja lang und
wohl auch anstrengend werden.
Am Samstag hieß es um 06:15 Tagwache (Start
war um 08:00 – im Gegensatz zu anderen Ultraläufen auch pünktlich ;-)). Ich
richtete Martin Frühstück her und kroch selbst wieder ins Bett. An Schlafen war
allerdings doch nicht mehr zu denken, und so stand ich nach einer Stunde doch
wieder auf und ging zum Start um die Labestation zu inspizieren (damit ich,
sollte Martin irgendwann verwirrt sein, was er denn möglicherweise brauchen
könnte, Bescheid wüsste – so informierte ich ihn gleich, das das Bier mit Alkohol
wäre, es aber auf Nachfrage auch alkoholfreies gäbe), unterhielt mich mit
einigen Bekannten (immer wieder der gleiche traurige Dialog: „Nein, ich starte
hier gar nichts, nein, auch nicht sechs Stunden oder Staffel, bin immer noch
verletzt, jogge vielleicht so für mich ein paar Kilometer“), bereitete dann
schon die Basis in unserem Zelt vor und beobachtete die – auch sehr nette –
Vorbesprechung / Ansprache und den Start.
Jetzt war mal einige Zeit Pause für mich,
Martin plante erst nach 1:20 mit dem Iso-Trinken und mit Gels zu beginnen. Es
war bereits recht warm, also blieb mal alles im Kühlschrank, ich legte mich auf
mein Campingbett hin und beobachtete den Lauf. Ab ca. 10 absolvierten
Kilometern begann ich auf einer Pinnwand den aktuellen Kilometerstand
anzuzeigen. Davor beginnen Ultras ja gar nicht erst zu zählen. :-) Dann hieß es
auch bald, die Trinkflaschen herzurichten. Jede zweite Runde ein Viertelliter
Ultrabuffer, jede Stunde ein Gel. Schön griffbereit positioniert. Zusätzlich
wollte Martin Kühlung, es war schon ziemlich heiß, also gab es auch noch ein
Geschirrtuch zum Eintauchen in die Wassertröge.
Nach dem zweiten Gel, das Martin geschnappt
hatte wollte auch ich zu meinem kurzen Lauf aufbrechen. Mal sehen wie es geht,
was das Bein sagt. Wird es schon besser? Vier Runden zu 1,82962 km hätte ich
geplant gehabt. Das Bein fühlte sich ja gar nicht mal so schlecht an, aber ich
war so müde, so fertig. Riesendurst! Leeregefühl! Schwindlig! Pffff, wirklich
komplett außer Form! Zwei Trinkstopps legte ich ein, nach drei Runden ließ ich
es gut sein. Das war wohl nicht das Wahre. Immerhin: das Bein schmerzte nicht
arg, aber der Rest war völlig hinüber. Lag es am Wetter? Nach meinem Ausflug
brachte ich die Basis wieder auf Vordermann: Absolvierte Kilometer auf der
Liste markieren und auf der Pinnwand anzeigen, Weggeworfene leere Flaschen
wieder befüllen, Gels positionieren, für zwischendurch „für’s Gemüt“ auch von
der Labestation Mohnkuchen holen :-) und den Zwischenstand checken. Martin war
ganz anständig unterwegs, Platz 24 – und hielt sich auch so halbwegs an seinen
Plan, war auf Kurs 117 km.
Bald kam auch Heinz, unser Nachbar auf der
anderen Seite, an. Er war von zwei Staffelteams etwas beengt, da er aber nur
ein kleines Zelt hatte und sechs Stunden vorhatte, reichte der Platz. Auch er
baute auf, checkte die Lage, holte die Startnummer und bereitete sich vor.
Inzwischen kühlte es leicht ab und mir fiel auf, dass Martin, obwohl er sich
offensichtlich bei seiner Verpflegungsaufnahme immer mehr Zeit ließ und auch
kurz zum Plaudern stehen blieb, immer schnellere Rundenzeiten lieferte. Der
Temperaturrückgang wirkte sich deutlich aus. Während Heinz und ich noch
plauderten bemerkte Heinz, dass es auf einmal wolkig zuzog, und während ich
noch schaute und ihm zustimmen wollte, kam auch schon der Regen. Zuerst leicht
und sehr schnell auch stark und dann war auch gleich das Gewitter da. Der
Zeltpavillon, der zur Hälfte auf Asphalt stand, war nur mit zwei Beinen im
Boden verankert, die anderen beiden flogen in der Luft herum. Unsere Nachbarn
arbeiteten daran ihr Zelt zu sichern, auch ich versuchte gleichzeitig,
herumfliegende Teile festzuhalten und die Verpflegung und alles andere, was
herumstand zu sichern. Alles, was nicht unbedingt draußen stehen musste – zwei
Campingbetten, die Kilometertafel-Pinnwand, eine kleine Haushaltsleiter, mein
Rucksack, einiges von der Verpflegung, Martins Kappe – stellte ich ins
Wohnmobil hinein, leider bereits komplett nass. Zum Glück dauerte das Gewitter
nicht allzu lang und bald konnte man den Normalbetrieb wieder aufnehmen. Wieder
hieß es: Überblick über den aktuellen Stand gewinnen, Kilometerstand markieren
und anzeigen, Verpflegung nachfüllen, durchnässte Salztabletten, Kuchen und
Salzgebäck entsorgen und frisch auflegen.
Es kehrte wieder Ruhe ein, und der Rhythmus
wie gehabt: jede zweite Runde trinken, jede Stunde ein Gel. Martin lief
weiterhin ruhig weiter, aber an den Zwischenständen sah ich, dass er schon
einige Plätze gutgemacht hatte. Jede Stunde ein paar Positionen nach vor. Es war
zwar nur ein Trainingslauf, aber es freute trotzdem. Die gewitterbedingte
Abkühlung schien ihn so richtig in Schwung gebracht zu haben, denn plötzlich
kam er mit der Frage an „Welche Rundenzeit brauche ich für 120 Kilometer?“ Hmm.
Der Plan war doch eigentlich gewesen, acht Stunden mal gemütlich zu laufen und
dann, eventuell, Gas zu geben. Nicht bereits nach sechseinhalb Stunden!! Egal,
mal nachgeschaut, es stand ja alles übersichtlich auf der Tempotabelle. Nicht
nur der benötigte Rundenschnitt sondern auch der aktuelle Rückstand auf die 120
Kilometer. Bei Martins nächstem Durchgang wusste ich schon bestens Bescheid.
Voll Vertrauen ;-) bestand er dennoch darauf selbst in der Liste nachzuschauen,
dann glaubte er mir aber doch. Und dann flog er dahin! Der Rückstand von acht
Minuten war nach einer Runde schon auf sieben reduziert, nach einer weiteren
Runde auf sechs. Langsamer! Laaaangsamer! Du darfst ja schnell laufen, aber
BITTE nicht den ganzen Rückstand in fünf Runden aufholen wollen!!! Ich hoffte,
ich könnte ihn so halbwegs überzeugen.
Das Zelt trocknete nach und nach, zum Glück!
Das nasse Zeug im Wohnmobil zu haben wäre nicht so toll gewesen. Die Ruhe war
leider nicht von langer Dauer. Bald kam starker Wind auf. Wieder hob das halbe
Zelt ab, Trinkflaschen und Becher flogen herum. Nicht schon wieder! Den
inzwischen zum Glück getrockneten Seitenteil montierte ich so schnell als
möglich ab, Sonne war ohnehin nicht mehr zu erwarten und gegen einen möglichen
Regen würde ja das Dach ausreichen. Die Viererstaffel versuchte hingegen, ihr
Zelt besser zu sichern und auch Heinz, der seinen Lauf unterbrechen musste,
band sein Zelt an einer Laterne an. Wenigstens blieb es trocken und man musste
„nur“ immer wieder davonfliegenden Flaschen, Bechern, Tellern und Zetteln nachlaufen.
Auch das war irgendwann vorbei und ich dachte daran, zu meinem zweiten Lauf
aufzubrechen.
Nochmals alles checken: Steht alles bereit,
was Martin brauchen würde? Sind Kappe, Legionärskappe griffbereit? Genug Gels
mit und ohne Koffein da? Salzgebäck, Iso-Getränk und Wasser? Passt alles, jetzt
kann ich auch laufen gehen. Ich meldete mich von Martin ab und überholte ihn
kurz danach auch. Nachdem das Unwetter durchgezogen war ging es auch mir auf
einmal deutlich besser. Das Bein spielte wieder halbwegs mit und laufen machte
auf einmal Spaß. Anstrengend war es trotzdem, insbesondere, da ich auch ohne
Startnummer anscheinend einen „Startnummerneffekt“ verspürte und gar nicht mal
so langsam im 4:28er-Schnitt unterwegs war. Ich wurde auch, genauso wie die
Teilnehmer, angefeuert. Und ich gebe zu: Ich freute mich darüber, denn für mich
war es vermutlich ein ebenso großes Erfolgserlebnis ein klein wenig zu Joggen,
wie es für die echten Teilnehmer war, ihr Bestes zu geben. Ich nahm die gute
Stimmung mit, freute mich über die Band an der Strecke, über die Musik aus der
Konserve – natürlich echte Ultra-Klassiker „Sweet Caroline“, „Ein Steeeeeern,
der deeeeeeiiiiiiiinen Namen trääääääägt“ und auch neue Lieblingslieder wie den
„Lagerhaus Reggea“ :-) Ein Teilnehmer klatschte mich sogar ab. Als ich beim
vierten Mal bei ihm vorbeikam entschuldigte ich mich, dass ich doch nur eine
Betreuerin auf Pause war – machte nix, das war ihm auch egal. Es war sehr nett
zu sehen, wie die Team teilweise in den Gärten der Anwohner campierten – eine
sehr angenehme Atmosphäre.
Das Bein schmerzte leicht, aber es war doch
ein recht lockeres Laufgefühl. Fünf Runden war das Maximum, das ich mir als
vernünftiges Limit gesetzt hatte. Fünf Runden war es auch, was sich zeitlich
ausging, danach musste ich ja wieder zurück an meinen Posten. Ich sah schon,
dass Martin die letzte Flasche genommen hatte, jetzt war es an der Zeit für
mich, zwei Runden von ihm noch, dann müsste der Nachschub da sein. Auf meiner
fünften Runde sah ich Martin schon wieder vor mir. Ich würde ihn noch überholen
bevor er an unserem Standort vorbeikommen würde, also könnte ich ihm gleich
sagen, dass ich eh bald wieder an meiner Stelle wäre. Kurz vor Start / Ziel
erreichte ich ihn und meldete mich zum Dienst zurück. Da meinte er jedoch, dass
es ihm nicht so gut ginge, ich solle ihm Salzgebäck herrichten. Das wurde nun
ein bisschen stressig. Falls er es gleich brauchen würde, müsste es schnell
gehen, also schnappte ich gleich im Vorbeilaufen bei der Labestation eine
Handvoll Soletti und legte sie im Teller bei unserer Station auf. Getränk
füllte ich auch nach und fragte Martin dann, als er vorbeikam, was los sei: Der
Kreislauf war’s, der wollte auf einmal nicht mehr so recht. Jetzt würde er mal
gehen. Nachdem ich mal das Notwendige hergerichtet hatte, holte ich noch einen
Becher Red Bull von der Labestation. Mag Martin zwar normalerweise nicht, aber
es schadet nicht, ihn bei der Hand zu haben. Gespannt wartete ich, was auf der
nächsten Runde sein würde. Aber da ging es auch schon wieder besser, die
Kreislaufprobleme waren vorbei. Aber – nun meldete sich das Knie:
Knieschmerzen. Martin schmierte sich das Knie ein und wollte mal sehen, was
geschehen würde. Er wirkte aber recht pessimistisch – zum Glück zugleich auch
vernünftig. Er meinte, wenn es nicht besser würde, würde er aufhören oder nur
mehr gehen. Schade zwar, aber besser so! Das große Ziel der 24 Stunden sollte
nicht gefährdet werden. Der Aufwärtstrend war klar zu sehen, in Seregno waren
es nur 66 gelaufene und 14 gegangene Kilometer gewesen, diesmal waren „wir“ ;-)
schon weit darüber. Aber, die Überraschung kam: Eine Runde später lief Martin
schon wieder, anscheinend schmerzfrei. Sehr gut!
So ging alles wieder geordnet weiter und ich
hatte auch Zeit ausführlich zu dehnen – eine Wohltat, zuletzt hatte ich nie die
Zeit dafür gefunden. Ich begann auch das Zelt komplett abzubauen. Martin, der
sein Knie noch ein weiteres Mal bearbeitete und auch einen „Boxenstopp“ im
Wohnmobil einlegte wollte mir dabei mit Rat und Tat zur Seite stehen. Ich
bemühte mich ihn loszuwerden: Er sollte doch lieber laufen und nicht mit
nützlichen Tipps, wie sie sich ein Ultraläuferhirn nach zehn Stunden Laufen
ausdenkt, – ähem – „helfen“. Ich war erfolgreich und schaffte es, ihn ohne
gröbere Handgreiflichkeiten wieder auf die Strecke zu schubsen. Aber – was
entdeckte ich da beim Versuch zusammenzuräumen? Die Startnummer?!?! Hat er doch
wirklich die Startnummer im Wohnmobil liegen gelassen Na ja, würde hoffentlich
kein großes Problem sein, bekommt er sie eben nächste Runde wieder. Die
Zwischenzeiten von 17:00 und 18:00 zeigten Martin weiterhin langsam auf dem
Vormarsch. Platz 12 und dann schon 9 mittlerweile und 3. Klassenrang. Fein! Es
sah so aus, als würde er den Lauf auch wirklich laufend zu Ende bringen. Der
übermotivierte Zwischenspurt hatte zwar einige Körner gekostet, aber so in
Richtung 116 km sollte es sich ausgehen. So feuerte ich ihn auch an, nicht
lockerzulassen und weiterzulaufen. Ich hatte hingegen noch ein weiteres Mal
Stress. Um ca. 18:45 begann es WIEDER zu regnen. Und diesmal sah es so aus, als
würde es sich so richtig einregnen. Also noch einmal die verbleibende
Ausrüstung verstauen, bzw. besser gesagt, irgendwie ins Auto reinschmeißen,
dort lag schon alles durcheinander. Ich hatte den Eindruck, dass David Lilek,
den ich während der ersten Stunden des Laufs versucht hatte möglichst oft
anzufeuern, nun umgekehrt mich tröstete, wie ich verzweifelt und frustriert mit
dem ganzen Krempel kämpfte. Ich zählte auch schon die Minuten bis zur Zielsirene.
Eine dreiviertel Stunde brauchte ich ungefähr, bis Futter und Zelt weg, Bank
zurückgebracht und nasse Sachen drinnen halbwegs aufgelegt waren. Wieder hatte
ich den Überblick verloren, was der Kilometerstand war bzw. in der
Endabrechnung ergeben würde, aber auf jeden Fall über 110 km, also Grund
zufrieden zu sein.
Die letzte Viertelstunde verbrachte ich mit
Heinz’ Frau Elisabeth unter deren Zeltdach. Martin kam noch einmal vorbei und
bat mich, ihm Jacke und Kappe für die Wartezeit bei der Restmetervermessung zu
bringen. Ich hielt es für eine gute Idee, ihm zusätzlich – jetzt endlich! – ein
Bier (mich an seinen ersten 24-Stunden-Lauf erinnernd, wo er so davon geträumt
hatte, bei der Zielsirene ein Bier trinken zu können) und einen Teller Nudeln
zu bringen. Mit Elisabeths Schirm ausgerüstet und Martins Übergewand unter
meine Jacke gestopft, so dass es trocken bleiben würde, marschierte ich noch
einmal zur Labestation und holte Bier, Nudeln und noch das letzte Stück
Mohnkuchen (und musste einigermaßen kämpfen, nichts fallen zu lassen). Jetzt
fehlte mir eigentlich nur mehr Martin. Nach der Berechnung zu Beginn seiner
letzten Runde müsste es sich eigentlich ausgehen, dass er noch genau eine
weitere schaffen würde, bevor es stehenzubleiben galt. Aber: Ich starrte mir
die Augen aus dem Kopf und sah ihn nicht und nicht. Ich ging ein Stück gegen
die Laufrichtung und sah ihn nicht. Ich drehte um, sah ihn nicht. Ich ging
wieder ein Stück gegen die Laufrichtung und sah ihn nicht. Ich kehrte zu
unserem Stützpunkt zurück und fragte Elisabeth, ob sie ihn vorbeikommen hatte
gesehen: Nein. Irgendwo musste er ja stecken! Also ging ich noch ein weiteres
Stück in Laufrichtung. Da sah ich ihn endlich! Gleichzeitig mit den
Restmetervermessern erreichte ich ihn. Wenigstens hatte er einen guten Platz,
regengeschützt unter einem Vordach, erwischt.
Bis zur Vermessung hatte es Martin
offensichtlich gut ausgehalten, aber danach begann er ärgstens zu zittern. Der
Weg ins Wohnmobil zurück war nicht weit, aber was erwartete uns dort? Ein Durcheinander,
sodass wir uns kaum rühren konnten und nur Platz hatten, auf Zehenspitzen zu
stehen. Das meiste war aber bereits einigermaßen trocken (nur wir waren
komplett nass) und so schafften wir es irgendwie doch nach und nach alles
dorthin zu räumen, wo es hingehörte. Mit einer heißen Dusche und den heißen
Nudeln ging es Martin besser und mir wurde leichter, als die Sachen langsam so
verstaut waren, dass an ein ordentliches Fahren zu denken war.
Davor ging es noch zur Siegerehrung, die für
21:30 angesetzt war. Ich ging davon aus, dass Martin seinen 3. Klassenrang
nicht mehr verloren hatte, also sollte es dort etwa für ihn zu holen geben. Die
Siegerehrung fand zwischen Strecke und Gemeindeamt statt – dort, wo 25 Stunden
davor wir am lauen Freitagabend die Pastaparty genossen hatten. Diesmal froren
und zitterten die erledigten Ultras (und deren Betreuer) vor sich hin. Der
Moderator hatte ein Einsehen und kündigte eine Express-Siegerehrung an: Nur
jeweils die ersten drei aller Bewerbe würden geehrt werden. Ein letzter Blick
auf die Ergebnislisten, diesmal die endgültige, bestätigte: Martin hatte den 3.
Klassenrang geschafft. Und, auf den letzten Runden auch den 6. Gesamtrang
erkämpft. 115.49706 km. Super! Also nicht nur ein guter Trainingslauf wo er mit
seiner erbrachten Leistung zufrieden sein konnte, sondern auch durchaus ein
herzeigbares Ergebnis. Die Altersklassen-Plazierten durften sich nach der
eigentlichen Siegerehrung ihre Trophäen vom Veranstalterteam holen. Danach
wurden noch einige Hänge geschüttelt und wir kehrten – schon wieder
einigermaßen nass – zum Wohnmobil zurück. Noch ein wenig war wegzuräumen, aber
dann konnte es losgehen. Losgehen? Ja, am Sonntag stand der nächste Einsatz an:
Da sollten wir in Wien im Donaupark beim Intersport Eybl Frauenlauf mithelfen.
Dienstantritt 07:00. Also ging es noch in der Nacht zurück in die Heimat.
Diesmal ohne Stau, aber – immer noch – im Regen. Martin am Steuer, das ließ er
sich nicht nehmen, und ich versuchte mich, obwohl todmüde, im Dauerquasseln. Um
01:45 kamen wir in Wien an. Zu Hause absteigen hätte sich nicht ausgezahlt, so
verbrachten wir die Nacht gleich, ganz idyllisch, am Donaupark, der Donauturm
wachte über uns. Kurz war die Nacht, keine fünf Stunden, aber so etwas gehört
wohl zum Ultraleben dazu.
Den Lauf über 6 km am nächsten Tag „nahm ich
mit“. Somit kam ich an diesem Wochenende auf vier Läufe. Eigentlich
beeindruckender als Martin – er war ja nur einmal gelaufen. ;-)
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