Samstag, 19. Mai 2012

Vogau aus Betreuerinnen-Sicht


Backstage-Bericht von Carola mit bisher unveröffentlichtem Bonusmaterial.

Ganz ohne Betreuung funktioniert Ultralauf nicht gut, daher kommt jetzt auch mal die Betreuerin zu Wort.

Nach ziemlich stressigen Tagen davor ging es am Freitag Nachmittag nach Vogau. Für meinen Spaß noch davor nach Graz zum Stiletto Run. Solche Läufe hatten mich, seit ich von deren Existenz weiß, gereizt. Dass es gerade an dem Tag, wo es nach Vogau ging, in Graz einen solchen Lauf gab und ich auch noch einen Startplatz gewann, war mein Glück. Martin konnte ich auch zu diesem Abstecher überreden und so wurde es Wirklichkeit. Der erste Sprint fand schon mal zum Start statt (da zum Glück noch mit Sneakers), da ein extramühsamer Stau (bei ca. 30°C) uns knapp eine Stunde gekostet hatte. Mit ein bisschen Bitten, ein bisschen Diskutieren und ein bisschen Streiten konnte ich die Verantwortlichen überzeugen, mir beinahe eineinhalb Stunden nach Ende der Startnummernausgabe doch noch Chip und Startnummer zu geben. Nach 88 Meter Sprint in High Heels (eh nur 8 cm) wusste ich: Ich bin keine Sprinterin, zumindest nicht halb verletzt, und schon gar nicht in Stilettos. Die Konkurrentinnen, gegen die ich in meinen Lauf zurückblieb, gereichten mir nicht gerade zur Ehre. Mein Glück war nur, dass bei der Express-Anmeldung offensichtlich etwas schief gelaufen war, so dass bei meinem Ergebnis nicht mein Name sondern nur „TN unbk.“ aufschien. ;) Nach diesem Exkurs, den ich halbwegs unbeschadet (es war danach nicht viel schlimmer als davor) überstanden hatte, ging es nun weiter zu unserem wirklichen Ziel, Vogau.

Das Wettkampfgelände und unser Stellplatz waren schnell gefunden, letzterer war nur etwas kleiner als erwartet. Wir schafften es dann doch, uns einzuparken und dann ging’s auch schon zur Startnummernabholung. Schon im Vorfeld war mein Eindruck der einer sehr nett gemachten Veranstaltung – zum Glück, denn schließlich hatte ja ich Martin auf die Idee gebracht, nach Vogau zu fahren – so waren meine Erwartungen auch eher hoch. Nicht nur für Martin, auch für mich selbst. Nicht laufen zu können und dann womöglich bei einem unguten Lauf Zeit zu vernichten wäre recht frustrierend gewesen. Der erste Eindruck bestätigte meine Erwartung jedoch. Freundlich, kompetente, hilfsbereite Menschen überall. Freundliche Begrüßung, Startnummer übergeben, richtige Größe des Starter-T-Shirts herausgefunden und dann ging’s zu Pasta Party, von der wir im Vorfeld nichts gewusst hatte, die uns jedoch durchaus freute. Plätze gab’s drinnen im Gemeindeamt und draußen an der Strecke genug, angesichts der Hitze und stickigen Luft war es Freitag Abend draußen deutlich angenehmer.

Nach der Pasta Party war die Streckenbesichtigung dran. Eine flache Strecke bei der keine Steigungen störten, aber die zu erwartende Hitze könnte unangenehm werden, da es einige der Sonne ausgesetzte Abschnitte gab. Überall entlang der Strecke waren Stellplätze für die Teilnehmer markiert, teilweise auch in den Gärten der Anrainer :). Die Einwohner sind hier offensichtlich voll dabei.

Schließlich hieß es noch den Zeltpavillon aufzubauen, der am nächsten Tag die Verpflegung und mich vor Sonne und Regen schützen sollte. Eine Premiere, Martin hatte ihn erst wenige Tage vor dem Lauf geliefert bekommen. Diese Herausforderung klappte gut, dabei lernten wir auch schon die benachbarte Viererstaffel kennen. Sie borgten sich Werkzeug von uns aus und halfen uns im Gegenzug beim Aufbau. Es war noch nicht wirklich spät, ich aber dennoch schon ziemlich kaputt. Zum Glück schien Martin fitter zu sein als ich, bei ihm würde es ja wirklich darauf ankommen. Es dauerte noch etwas, bis wirklich alles vorbereitet war, aber dann ging es endlich ins Bett, ich konnte schon nicht mehr aufrecht sitzen und der nächste Tag würde ja lang und wohl auch anstrengend werden.

Am Samstag hieß es um 06:15 Tagwache (Start war um 08:00 – im Gegensatz zu anderen Ultraläufen auch pünktlich ;-)). Ich richtete Martin Frühstück her und kroch selbst wieder ins Bett. An Schlafen war allerdings doch nicht mehr zu denken, und so stand ich nach einer Stunde doch wieder auf und ging zum Start um die Labestation zu inspizieren (damit ich, sollte Martin irgendwann verwirrt sein, was er denn möglicherweise brauchen könnte, Bescheid wüsste – so informierte ich ihn gleich, das das Bier mit Alkohol wäre, es aber auf Nachfrage auch alkoholfreies gäbe), unterhielt mich mit einigen Bekannten (immer wieder der gleiche traurige Dialog: „Nein, ich starte hier gar nichts, nein, auch nicht sechs Stunden oder Staffel, bin immer noch verletzt, jogge vielleicht so für mich ein paar Kilometer“), bereitete dann schon die Basis in unserem Zelt vor und beobachtete die – auch sehr nette – Vorbesprechung / Ansprache und den Start.

Jetzt war mal einige Zeit Pause für mich, Martin plante erst nach 1:20 mit dem Iso-Trinken und mit Gels zu beginnen. Es war bereits recht warm, also blieb mal alles im Kühlschrank, ich legte mich auf mein Campingbett hin und beobachtete den Lauf. Ab ca. 10 absolvierten Kilometern begann ich auf einer Pinnwand den aktuellen Kilometerstand anzuzeigen. Davor beginnen Ultras ja gar nicht erst zu zählen. :-) Dann hieß es auch bald, die Trinkflaschen herzurichten. Jede zweite Runde ein Viertelliter Ultrabuffer, jede Stunde ein Gel. Schön griffbereit positioniert. Zusätzlich wollte Martin Kühlung, es war schon ziemlich heiß, also gab es auch noch ein Geschirrtuch zum Eintauchen in die Wassertröge.

Nach dem zweiten Gel, das Martin geschnappt hatte wollte auch ich zu meinem kurzen Lauf aufbrechen. Mal sehen wie es geht, was das Bein sagt. Wird es schon besser? Vier Runden zu 1,82962 km hätte ich geplant gehabt. Das Bein fühlte sich ja gar nicht mal so schlecht an, aber ich war so müde, so fertig. Riesendurst! Leeregefühl! Schwindlig! Pffff, wirklich komplett außer Form! Zwei Trinkstopps legte ich ein, nach drei Runden ließ ich es gut sein. Das war wohl nicht das Wahre. Immerhin: das Bein schmerzte nicht arg, aber der Rest war völlig hinüber. Lag es am Wetter? Nach meinem Ausflug brachte ich die Basis wieder auf Vordermann: Absolvierte Kilometer auf der Liste markieren und auf der Pinnwand anzeigen, Weggeworfene leere Flaschen wieder befüllen, Gels positionieren, für zwischendurch „für’s Gemüt“ auch von der Labestation Mohnkuchen holen :-) und den Zwischenstand checken. Martin war ganz anständig unterwegs, Platz 24 – und hielt sich auch so halbwegs an seinen Plan, war auf Kurs 117 km.

Bald kam auch Heinz, unser Nachbar auf der anderen Seite, an. Er war von zwei Staffelteams etwas beengt, da er aber nur ein kleines Zelt hatte und sechs Stunden vorhatte, reichte der Platz. Auch er baute auf, checkte die Lage, holte die Startnummer und bereitete sich vor. Inzwischen kühlte es leicht ab und mir fiel auf, dass Martin, obwohl er sich offensichtlich bei seiner Verpflegungsaufnahme immer mehr Zeit ließ und auch kurz zum Plaudern stehen blieb, immer schnellere Rundenzeiten lieferte. Der Temperaturrückgang wirkte sich deutlich aus. Während Heinz und ich noch plauderten bemerkte Heinz, dass es auf einmal wolkig zuzog, und während ich noch schaute und ihm zustimmen wollte, kam auch schon der Regen. Zuerst leicht und sehr schnell auch stark und dann war auch gleich das Gewitter da. Der Zeltpavillon, der zur Hälfte auf Asphalt stand, war nur mit zwei Beinen im Boden verankert, die anderen beiden flogen in der Luft herum. Unsere Nachbarn arbeiteten daran ihr Zelt zu sichern, auch ich versuchte gleichzeitig, herumfliegende Teile festzuhalten und die Verpflegung und alles andere, was herumstand zu sichern. Alles, was nicht unbedingt draußen stehen musste – zwei Campingbetten, die Kilometertafel-Pinnwand, eine kleine Haushaltsleiter, mein Rucksack, einiges von der Verpflegung, Martins Kappe – stellte ich ins Wohnmobil hinein, leider bereits komplett nass. Zum Glück dauerte das Gewitter nicht allzu lang und bald konnte man den Normalbetrieb wieder aufnehmen. Wieder hieß es: Überblick über den aktuellen Stand gewinnen, Kilometerstand markieren und anzeigen, Verpflegung nachfüllen, durchnässte Salztabletten, Kuchen und Salzgebäck entsorgen und frisch auflegen.

Es kehrte wieder Ruhe ein, und der Rhythmus wie gehabt: jede zweite Runde trinken, jede Stunde ein Gel. Martin lief weiterhin ruhig weiter, aber an den Zwischenständen sah ich, dass er schon einige Plätze gutgemacht hatte. Jede Stunde ein paar Positionen nach vor. Es war zwar nur ein Trainingslauf, aber es freute trotzdem. Die gewitterbedingte Abkühlung schien ihn so richtig in Schwung gebracht zu haben, denn plötzlich kam er mit der Frage an „Welche Rundenzeit brauche ich für 120 Kilometer?“ Hmm. Der Plan war doch eigentlich gewesen, acht Stunden mal gemütlich zu laufen und dann, eventuell, Gas zu geben. Nicht bereits nach sechseinhalb Stunden!! Egal, mal nachgeschaut, es stand ja alles übersichtlich auf der Tempotabelle. Nicht nur der benötigte Rundenschnitt sondern auch der aktuelle Rückstand auf die 120 Kilometer. Bei Martins nächstem Durchgang wusste ich schon bestens Bescheid. Voll Vertrauen ;-) bestand er dennoch darauf selbst in der Liste nachzuschauen, dann glaubte er mir aber doch. Und dann flog er dahin! Der Rückstand von acht Minuten war nach einer Runde schon auf sieben reduziert, nach einer weiteren Runde auf sechs. Langsamer! Laaaangsamer! Du darfst ja schnell laufen, aber BITTE nicht den ganzen Rückstand in fünf Runden aufholen wollen!!! Ich hoffte, ich könnte ihn so halbwegs überzeugen.

Das Zelt trocknete nach und nach, zum Glück! Das nasse Zeug im Wohnmobil zu haben wäre nicht so toll gewesen. Die Ruhe war leider nicht von langer Dauer. Bald kam starker Wind auf. Wieder hob das halbe Zelt ab, Trinkflaschen und Becher flogen herum. Nicht schon wieder! Den inzwischen zum Glück getrockneten Seitenteil montierte ich so schnell als möglich ab, Sonne war ohnehin nicht mehr zu erwarten und gegen einen möglichen Regen würde ja das Dach ausreichen. Die Viererstaffel versuchte hingegen, ihr Zelt besser zu sichern und auch Heinz, der seinen Lauf unterbrechen musste, band sein Zelt an einer Laterne an. Wenigstens blieb es trocken und man musste „nur“ immer wieder davonfliegenden Flaschen, Bechern, Tellern und Zetteln nachlaufen. Auch das war irgendwann vorbei und ich dachte daran, zu meinem zweiten Lauf aufzubrechen.

Nochmals alles checken: Steht alles bereit, was Martin brauchen würde? Sind Kappe, Legionärskappe griffbereit? Genug Gels mit und ohne Koffein da? Salzgebäck, Iso-Getränk und Wasser? Passt alles, jetzt kann ich auch laufen gehen. Ich meldete mich von Martin ab und überholte ihn kurz danach auch. Nachdem das Unwetter durchgezogen war ging es auch mir auf einmal deutlich besser. Das Bein spielte wieder halbwegs mit und laufen machte auf einmal Spaß. Anstrengend war es trotzdem, insbesondere, da ich auch ohne Startnummer anscheinend einen „Startnummerneffekt“ verspürte und gar nicht mal so langsam im 4:28er-Schnitt unterwegs war. Ich wurde auch, genauso wie die Teilnehmer, angefeuert. Und ich gebe zu: Ich freute mich darüber, denn für mich war es vermutlich ein ebenso großes Erfolgserlebnis ein klein wenig zu Joggen, wie es für die echten Teilnehmer war, ihr Bestes zu geben. Ich nahm die gute Stimmung mit, freute mich über die Band an der Strecke, über die Musik aus der Konserve – natürlich echte Ultra-Klassiker „Sweet Caroline“, „Ein Steeeeeern, der deeeeeeiiiiiiiinen Namen trääääääägt“ und auch neue Lieblingslieder wie den „Lagerhaus Reggea“ :-) Ein Teilnehmer klatschte mich sogar ab. Als ich beim vierten Mal bei ihm vorbeikam entschuldigte ich mich, dass ich doch nur eine Betreuerin auf Pause war – machte nix, das war ihm auch egal. Es war sehr nett zu sehen, wie die Team teilweise in den Gärten der Anwohner campierten – eine sehr angenehme Atmosphäre.

Das Bein schmerzte leicht, aber es war doch ein recht lockeres Laufgefühl. Fünf Runden war das Maximum, das ich mir als vernünftiges Limit gesetzt hatte. Fünf Runden war es auch, was sich zeitlich ausging, danach musste ich ja wieder zurück an meinen Posten. Ich sah schon, dass Martin die letzte Flasche genommen hatte, jetzt war es an der Zeit für mich, zwei Runden von ihm noch, dann müsste der Nachschub da sein. Auf meiner fünften Runde sah ich Martin schon wieder vor mir. Ich würde ihn noch überholen bevor er an unserem Standort vorbeikommen würde, also könnte ich ihm gleich sagen, dass ich eh bald wieder an meiner Stelle wäre. Kurz vor Start / Ziel erreichte ich ihn und meldete mich zum Dienst zurück. Da meinte er jedoch, dass es ihm nicht so gut ginge, ich solle ihm Salzgebäck herrichten. Das wurde nun ein bisschen stressig. Falls er es gleich brauchen würde, müsste es schnell gehen, also schnappte ich gleich im Vorbeilaufen bei der Labestation eine Handvoll Soletti und legte sie im Teller bei unserer Station auf. Getränk füllte ich auch nach und fragte Martin dann, als er vorbeikam, was los sei: Der Kreislauf war’s, der wollte auf einmal nicht mehr so recht. Jetzt würde er mal gehen. Nachdem ich mal das Notwendige hergerichtet hatte, holte ich noch einen Becher Red Bull von der Labestation. Mag Martin zwar normalerweise nicht, aber es schadet nicht, ihn bei der Hand zu haben. Gespannt wartete ich, was auf der nächsten Runde sein würde. Aber da ging es auch schon wieder besser, die Kreislaufprobleme waren vorbei. Aber – nun meldete sich das Knie: Knieschmerzen. Martin schmierte sich das Knie ein und wollte mal sehen, was geschehen würde. Er wirkte aber recht pessimistisch – zum Glück zugleich auch vernünftig. Er meinte, wenn es nicht besser würde, würde er aufhören oder nur mehr gehen. Schade zwar, aber besser so! Das große Ziel der 24 Stunden sollte nicht gefährdet werden. Der Aufwärtstrend war klar zu sehen, in Seregno waren es nur 66 gelaufene und 14 gegangene Kilometer gewesen, diesmal waren „wir“ ;-) schon weit darüber. Aber, die Überraschung kam: Eine Runde später lief Martin schon wieder, anscheinend schmerzfrei. Sehr gut!

So ging alles wieder geordnet weiter und ich hatte auch Zeit ausführlich zu dehnen – eine Wohltat, zuletzt hatte ich nie die Zeit dafür gefunden. Ich begann auch das Zelt komplett abzubauen. Martin, der sein Knie noch ein weiteres Mal bearbeitete und auch einen „Boxenstopp“ im Wohnmobil einlegte wollte mir dabei mit Rat und Tat zur Seite stehen. Ich bemühte mich ihn loszuwerden: Er sollte doch lieber laufen und nicht mit nützlichen Tipps, wie sie sich ein Ultraläuferhirn nach zehn Stunden Laufen ausdenkt, – ähem – „helfen“. Ich war erfolgreich und schaffte es, ihn ohne gröbere Handgreiflichkeiten wieder auf die Strecke zu schubsen. Aber – was entdeckte ich da beim Versuch zusammenzuräumen? Die Startnummer?!?! Hat er doch wirklich die Startnummer im Wohnmobil liegen gelassen Na ja, würde hoffentlich kein großes Problem sein, bekommt er sie eben nächste Runde wieder. Die Zwischenzeiten von 17:00 und 18:00 zeigten Martin weiterhin langsam auf dem Vormarsch. Platz 12 und dann schon 9 mittlerweile und 3. Klassenrang. Fein! Es sah so aus, als würde er den Lauf auch wirklich laufend zu Ende bringen. Der übermotivierte Zwischenspurt hatte zwar einige Körner gekostet, aber so in Richtung 116 km sollte es sich ausgehen. So feuerte ich ihn auch an, nicht lockerzulassen und weiterzulaufen. Ich hatte hingegen noch ein weiteres Mal Stress. Um ca. 18:45 begann es WIEDER zu regnen. Und diesmal sah es so aus, als würde es sich so richtig einregnen. Also noch einmal die verbleibende Ausrüstung verstauen, bzw. besser gesagt, irgendwie ins Auto reinschmeißen, dort lag schon alles durcheinander. Ich hatte den Eindruck, dass David Lilek, den ich während der ersten Stunden des Laufs versucht hatte möglichst oft anzufeuern, nun umgekehrt mich tröstete, wie ich verzweifelt und frustriert mit dem ganzen Krempel kämpfte. Ich zählte auch schon die Minuten bis zur Zielsirene. Eine dreiviertel Stunde brauchte ich ungefähr, bis Futter und Zelt weg, Bank zurückgebracht und nasse Sachen drinnen halbwegs aufgelegt waren. Wieder hatte ich den Überblick verloren, was der Kilometerstand war bzw. in der Endabrechnung ergeben würde, aber auf jeden Fall über 110 km, also Grund zufrieden zu sein.

Die letzte Viertelstunde verbrachte ich mit Heinz’ Frau Elisabeth unter deren Zeltdach. Martin kam noch einmal vorbei und bat mich, ihm Jacke und Kappe für die Wartezeit bei der Restmetervermessung zu bringen. Ich hielt es für eine gute Idee, ihm zusätzlich – jetzt endlich! – ein Bier (mich an seinen ersten 24-Stunden-Lauf erinnernd, wo er so davon geträumt hatte, bei der Zielsirene ein Bier trinken zu können) und einen Teller Nudeln zu bringen. Mit Elisabeths Schirm ausgerüstet und Martins Übergewand unter meine Jacke gestopft, so dass es trocken bleiben würde, marschierte ich noch einmal zur Labestation und holte Bier, Nudeln und noch das letzte Stück Mohnkuchen (und musste einigermaßen kämpfen, nichts fallen zu lassen). Jetzt fehlte mir eigentlich nur mehr Martin. Nach der Berechnung zu Beginn seiner letzten Runde müsste es sich eigentlich ausgehen, dass er noch genau eine weitere schaffen würde, bevor es stehenzubleiben galt. Aber: Ich starrte mir die Augen aus dem Kopf und sah ihn nicht und nicht. Ich ging ein Stück gegen die Laufrichtung und sah ihn nicht. Ich drehte um, sah ihn nicht. Ich ging wieder ein Stück gegen die Laufrichtung und sah ihn nicht. Ich kehrte zu unserem Stützpunkt zurück und fragte Elisabeth, ob sie ihn vorbeikommen hatte gesehen: Nein. Irgendwo musste er ja stecken! Also ging ich noch ein weiteres Stück in Laufrichtung. Da sah ich ihn endlich! Gleichzeitig mit den Restmetervermessern erreichte ich ihn. Wenigstens hatte er einen guten Platz, regengeschützt unter einem Vordach, erwischt.

Bis zur Vermessung hatte es Martin offensichtlich gut ausgehalten, aber danach begann er ärgstens zu zittern. Der Weg ins Wohnmobil zurück war nicht weit, aber was erwartete uns dort? Ein Durcheinander, sodass wir uns kaum rühren konnten und nur Platz hatten, auf Zehenspitzen zu stehen. Das meiste war aber bereits einigermaßen trocken (nur wir waren komplett nass) und so schafften wir es irgendwie doch nach und nach alles dorthin zu räumen, wo es hingehörte. Mit einer heißen Dusche und den heißen Nudeln ging es Martin besser und mir wurde leichter, als die Sachen langsam so verstaut waren, dass an ein ordentliches Fahren zu denken war.

Davor ging es noch zur Siegerehrung, die für 21:30 angesetzt war. Ich ging davon aus, dass Martin seinen 3. Klassenrang nicht mehr verloren hatte, also sollte es dort etwa für ihn zu holen geben. Die Siegerehrung fand zwischen Strecke und Gemeindeamt statt – dort, wo 25 Stunden davor wir am lauen Freitagabend die Pastaparty genossen hatten. Diesmal froren und zitterten die erledigten Ultras (und deren Betreuer) vor sich hin. Der Moderator hatte ein Einsehen und kündigte eine Express-Siegerehrung an: Nur jeweils die ersten drei aller Bewerbe würden geehrt werden. Ein letzter Blick auf die Ergebnislisten, diesmal die endgültige, bestätigte: Martin hatte den 3. Klassenrang geschafft. Und, auf den letzten Runden auch den 6. Gesamtrang erkämpft. 115.49706 km. Super! Also nicht nur ein guter Trainingslauf wo er mit seiner erbrachten Leistung zufrieden sein konnte, sondern auch durchaus ein herzeigbares Ergebnis. Die Altersklassen-Plazierten durften sich nach der eigentlichen Siegerehrung ihre Trophäen vom Veranstalterteam holen. Danach wurden noch einige Hänge geschüttelt und wir kehrten – schon wieder einigermaßen nass – zum Wohnmobil zurück. Noch ein wenig war wegzuräumen, aber dann konnte es losgehen. Losgehen? Ja, am Sonntag stand der nächste Einsatz an: Da sollten wir in Wien im Donaupark beim Intersport Eybl Frauenlauf mithelfen. Dienstantritt 07:00. Also ging es noch in der Nacht zurück in die Heimat. Diesmal ohne Stau, aber – immer noch – im Regen. Martin am Steuer, das ließ er sich nicht nehmen, und ich versuchte mich, obwohl todmüde, im Dauerquasseln. Um 01:45 kamen wir in Wien an. Zu Hause absteigen hätte sich nicht ausgezahlt, so verbrachten wir die Nacht gleich, ganz idyllisch, am Donaupark, der Donauturm wachte über uns. Kurz war die Nacht, keine fünf Stunden, aber so etwas gehört wohl zum Ultraleben dazu.

Den Lauf über 6 km am nächsten Tag „nahm ich mit“. Somit kam ich an diesem Wochenende auf vier Läufe. Eigentlich beeindruckender als Martin – er war ja nur einmal gelaufen. ;-)

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