Montag, 5. Juli 2010

Einmal und nie wieder?

Das war eine der vielen Fragen, die ich mir vor meinem Abenteuer "24-Stunden-Benefizlauf" in Irdning/Wörschach so stellte und welche nur durch den Versuch beantwortet werden konnte.

Warnhinweis: nachdem es sich um einen Ultralaufbericht handelt, ist auch die Länge entsprechend ;-)

Zunächst wollte ich den 24-Stundenlauf ja ganz locker angehen: nachdem mein Schatz Carola schon seit längerem in das Projekt „24-Stunden-Damen-Megastaffel-Weltrekord“ involviert war und ich nicht „nur“ (auch da habe ich viel gelernt! Der Betreuer macht 50% des Laufs aus) als Begleiter mitkommen wollte, meldete ich mich eben zum 24-Stundenlauf an. Dann habe ich eine Startnummer und kann herumlaufen wann immer es mich freut. Nun, da war ja noch die Sache mit dem Benefizgedanken des Laufs: jeder Läufer soll möglichst viele Sponsoren finden, welche die Laufkilometer in EUR für den guten Zweck umwandeln. Also schnell noch sechs Wochen vor dem Lauf eine kleine Homepage (http://martin24h.awardspace.biz) gebastelt und dann viele Leute um Unterstützung gebeten – und die Resonanz hat meine Erwartungen bei weitem übertroffen. An dieser Stelle herzlichen Dank an alle Unterstützer, letztendlich konnte ich EUR 802.31 erlaufen! Mit der Vielzahl an Unterstützern stieg natürlich auch mein Anspruch an mich, eine einigermaßen ordentliche Leistung zu bieten und so versuchte ich in sechs Wochen entsprechend Grundlagenausdauer zu trainieren, traf dabei aber bei Wochenumfängen von 130 bis 180 Kilometern auch auf ein Ultralauf-Charakteristikum (gefunden in einem Forum): „dein Training ist dadurch begrenzt, wieviel Zeit du hast, und nicht wie weit du zu laufen im Stande bist.“ Naja, teilweise war es auch durch Letzteres ;-) So lief eigentlich alles nach Plan bis zu den letzten zehn Tagen und dem Beginn der Erholungsphase bis zum Tag X. Bei einem kurzen gemütlichen Lauf in der Prater Hauptallee (liebevoll „Wohnzimmer“ genannt) plötzlich eine rechte Wade, die sich mehr und mehr verkrampft. Endlich zuhause angekommen war Gehen ziemlich schmerzvoll, also die nächsten zwei Tage nur Ergometertraining und Kühlung. Dies hat soweit geholfen, dass gehen wieder schmerzfrei möglich war. Auch ein leichter 16 Kilometer-Berglauf auf der ersten Etappe des Veitsch-Grenzstaffellaufs war dann anfangs problemlos möglich, auf den letzten drei Kilometer stellten sich jedoch wieder leichte Schmerzen ein und so wurden diese gehend (ohnehin gutes Training für die Gehpausen während der 24 Stunden) absolviert. In der letzten Woche vor Irdning dann noch schnell zwei Massagetermine beim Masseur meines Vertrauens vereinbart um die Wade locker zu bekommen – und bis zum Tag X kein Laufschritt mehr.

Mit dieser Vorgeschichte im Gepäck trafen wir dann Freitag abend in Irdning ein, wo das Volksfest sowie die Freitagabend-Bewerbe (Kinder- und Jugendlauf, Verfolgungslauf, Nachthalbmarathon) bereits im Gange waren. Manfred, der Organisator & Koordinator des „24-Stunden-Damen-Megastaffel-Weltrekord“-Projekts, hatte schon eine tolle Infrastruktur (Großraumzelte, Zugang zu fixer Dusche & WC, idealer Lageplatz direkt an der Strecke, Infos und Details zur Organisation des Laufs) errichtet, welche ich als Einzelläufer ebenfalls nutzen durfte! Vielen Dank dafür, denn nach der Erfahrung dieser 24 Stunden hätte ich es wohl ohne diese Infrastruktur nie so weit geschafft, aber schön der Reihe nach. So ging es dann zunächst zur Startnummernabholung – alles sehr entspannt und familiär, noch ein bisschen chaotisch, da fast alle Helfer hier ehrenamtlich mittun, aber ein wohltuender Gegensatz zu den Schlangen an den Schaltern so manches großen Stadtmarathons. Neben meiner Startnummer erhielt ich auch einen Zettel, welchen ich unterzeichnen sollte. Es handelte sich dabei nicht um ein Anti-Doping-Manifest, sondern um einen Test meines Geisteszustands. Diesen Test bestand ich trotz mehrmaligen Lesens leider nicht und unterschrieb daher, dass ich mir vollkommen im Klaren bin was ich hier mache, welche Strapazen auf mich zukommen werden und dass niemand anderer als ausschließlich ich selbst dafür verantwortlich bin, dass ich das tue, was ich ab Samstag, 3.7.2010, 14h machen werde, nämlich 24 Stunden so oft als möglich im Kreis zu laufen. Mit meiner Unterschrift war es dann amtlich – ich werde morgen am Start stehen! Nach diesen Formalitäten ging es dann zur Pastaparty – einfach, aber gut, Pasta mit Tomaten- Olivensauce („die rote“) sowie Carbonara („die weiße“) wurden gereicht, mit beliebig oft Nachschlag, nicht unwesentlich, denn Energie werde ich morgen wohl benötigen. Danach besichtigten Carola und ich zusammen mit Roland, einem weiteren Einzelläufer, noch die Strecke. Roland kannte auch die Strecke des bisherigen Austragungsorts in Wörschach und meinte erfreut, dass die Strecke in Irdning deutlich flacher ist. Hm, ah ja, dann bin ich nur froh, dass ich meinen ersten 24-Stundenlauf in Irdning bestreite und niemals in Wörschach am Start stand, denn so richtig flach fand ich die Strecke ja nicht. Schon aus dem offiziellen Höhenprofil war klar, in jeder Runde ist eine (absolute) Höhendifferenz von 6,6 Metern zu bewältigen, was bei beispielsweise 45 Runden (=100km) doch immerhin fast 300 Höhenmeter ausmacht. In Natura stellte sich dies in einer langen leicht steigenden Geraden, einem ziemlich knackigen „Buckel“ (hier war auch eine der beiden Rettungsstationen eingerichtet – Zufall?) sowie einer kleinen Welle dar. Beim Anblick des Buckels war für mich klar, den werde ich sicherlich nur gehend bewältigen, denn sonst ist das Abenteuer 24 Stunden bald vorbei und ich im Sani-Container. Ansonsten verläuft die Strecke zu einem Viertel auf der nördlichen Ortseinfahrtsstraße von Trautenfels nach Irdning. Hier war auch Start/Ziel und der Container mit den Rundenzählern. Von der Straße ging es in den Bereich des Sport- & Campingplatzes, wo sich auch unser Lagerplatz befand. Nach dem Campingplatz weiter zurück auf die erwähnte Straße, wo dann auch ein SPAR direkt an der Strecke liegt. Wenn also die offizielle Verpflegung nicht genügt, kann man sich auch hier versorgen – hatte übrigens am Sonntag auch von 7h bis 11h geöffnet. Dann geht’s am Ortsrand entlang rüber zur Kläranlage, wo sich auch ein „Kompostprojekt“ befindet – Quell immer wieder interessanter Geruchskombinationen am nächsten Tag, aber doch auch eine willkommene Abwechslung. Danach wieder durch Start & Ziel auf die nächste 2.245 Kilometer lange Runde. Generell waren entlang der Strecke an allen geeigneten Plätzen (=ebene Wiesenfläche) Parzellen für die Lager der Ultraläufer sowie Staffeln eingerichtet. Für Stimmung sollte also gesorgt sein – ich bin schon sehr gespannt, wie das dann morgen sein wird, denn noch herrscht eher ruhige Nervosität und Spannung allerorts.

Nach der doch etwas Respekt einflössenden Streckenbesichtigung (hoffentlich hab ich keine Albträume vom „Buckel“) ging es dann ins Bett. Vorsorglich hatten wir unser Wohnmobil am Parkplatz außerhalb des Hauptfestareals abgestellt – was uns aber nichts nutzte, Schallwellen verbreiten sich wirklich unheimlich weit. So wurden wir dann bis 2h30 mit allen möglichen und unmöglichen Musikrichtungen versorgt, und bei mir siegte erst dann Ohropax im Bunde mit Müdigkeit, stets begleitet vom Gedanken „nach dem Aufstehen morgen werde ich ca. 30 Stunden wach sein müssen“.

Tag X – endlich ist es soweit, mein Bericht nähert sich dem eigentlichen Thema.

Der Start wird um 14h erfolgen. Am Vormittag bereite ich meinen Bereich im Zelt vor, das heißt, ich platziere meine Tasche mit meiner gesamten Laufbekleidung inklusive der Winterausrüstung für bis zu minus 10°C, Pinwände mit Motivationssprüchen, einen Kübel mit Wasser, Schwämmen und Geschirrtüchern um der zu erwartenden Hitze Widerstand leisten zu können sowie einem Sack voll mit Salben gegen Gelenks- & Muskelschmerzen, Sonnenmilch, Traubenzucker usw. Dann noch ein kurzer Besuch beim schon erwähnten SPAR mit der Erkenntnis, der ist gut klimatisiert, eventuell eine Möglichkeit bei Überhitzung während des Laufs eine kurze Pause im Kühlen einzulegen – angesichts erwarteter Temperaturen von über 30°C bei strahlendem Sonnenschein eine wirklich überlegenswerte Option, genutzt habe ich sie dann jedoch nicht.

Um 12h30 erfolgte dann noch eine kurze offizielle Vorbesprechung seitens des Veranstalters zum allgemeinen Verhalten während des Laufs und einige organisatorische Details. Ich erkunde noch die Labestation, was dort so geboten wird – und bin etwas geschockt: das isotonische Getränk ist ident zu jenem, mit welchem ich beim Ötscher-Bergmarathon in der Vorbereitung ebenfalls bei großer Hitze eher negative Erfahrungen infolge Elektrolytmangels und geringen Kohlenhydratanteils gemacht habe. Von den bei der Vorgängerveranstaltung in Berichten erwähnten Gels oder Energy-Riegel gab es gar nichts, nur die üblichen Riegel für „Privathaushalte“. Naja, dann „Back-to-the-Roots“ und die Elektrolyte und Kohlenhydrate werden aus den ebenfalls angebotenen Salzkartoffeln sowie der Suppe stammen müssen – nicht gerade „High-Tech“, aber eigentlich wurden ordentliche Leistungen auch schon früher ohne Kompressionssocken, Energy-Riegel, Kohlenhydratpulver usw. erbracht. Also: wird schon klappen und außerdem habe ich in einigen Foren gelesen, ein 24-Stundenlauf hat den Nachteil, dass eine Krise immer kommen wird, aber den Vorteil, dass der Lauf lange genug dauert um sie zu überwinden. Letztlich war übrigens das isotonische Getränk auch dick genug angerührt, dass der gewünschte Versorgungseffekt gegeben war – nur picksüss hat es dann geschmeckt.

Danach die letzten Handgriffe und das Anlegen der Laufmontur. Dabei werde ich meinen ersten 24-Stundenlauf und meinen ersten Lauf überhaupt nicht mit einem Laufdress starten sondern mit einem Raddress. Warum das? Angesichts des schon erwähnten voraussichtlichen Wetters und meiner mir bekannten geringen Hitzeresistenz wage ich nicht, ein ärmelloses Shirt zu tragen, da mir die Gefahr eines Sonnenbrands im Schulterbereich verbunden mit Körperüberhitzung zu groß ist. Allerdings möchte ich weitgehende Kühlung – alle meine Shirts mit großem Ausschnitt vorne sind jedoch ärmellos. Nur mein Raddress ist mit einem Reißverschluss vorne ausgestattet, also ist dies meine erste Wahl und auch meine erste Erkenntnis des Abenteuers 24-Stundenlauf: wenn ich wieder mal so etwas machen sollte, dann kaufe ich vorher ein Laufshirt, welches man vorne öffnen kann. Aber gut, zwischen Raddress und Laufshirt liegen jetzt nicht die Welten und es wird schon klappen. Auf die Beine kommen – für mich eigentlich ungewöhnlich – Kompressionssocken: eine Vorsichtsmaßnahme um die lädierte rechte Wade, auch wenn sie schmerzfrei ist, möglichst zu unterstützen. Auch meine extra für Irdning gekaufte Legionärskappe setze ich auf. Diese Idee habe ich in der Vorbereitung in einem der zahlreichen Berichte des erfahrenen Ultraläufers Pascal Le Bail (http://pascal.priv.at/) gefunden, welcher mit diesem Nackenschutz ausgestattet Hitzeläufe gut überstanden hat. Der letzte Bericht von Pascal stammt aus dem Jahr 2004, seitdem hat er keine mehr geschrieben „weil die Leistungen zu schwach sind um darüber zu berichten, allerdings gilt das Geschriebene nach wie vor“ wie er mir beim Start erklärte – er lief in Irdning dann übrigens 180,7 Kilometer! Ja, damit sind wir schon am Start, es ist 13h50, ich stelle mich bei meiner Rundenzählerin vor, die neben der automatischen Chipmessung auch manuell jede Runde von mir registrieren wird und zusammen mit ihren KollegInnen für Stimmung und Motivation (vor allem in der Nacht) sorgen wird. Dieser Job erfordert übrigens auch einiges an Kondition, da für jeden Läufer jeweils zwei Rundenzähler im 4-Stundenschichtbetrieb während der 24 Stunden zuständig sind. 13h52: noch schnell die letzten Minuten bis zum Start im Schatten unmittelbar am Rundenzähler-Container verbringen, denn es ist schon verdammt heiß in der Sonne. Das wird spannend, wie die nächsten sechs Stunden bis ca. 20 Uhr verlaufen, dann sollte es langsam kühler werden und zumindest die direkte Sonneneinstrahlung weg sein. 13h59.50: 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1 – es ist wahr, ich starte jetzt wirklich bei einem 24-Stundenlauf. Naja, gut, so schwer ist das auch wieder nicht – schwieriger wird, was die nächsten 24 Stunden passiert. Ich habe mir vorgenommen, so langsam als möglich los zu laufen, sodass sich aber das Laufen noch rhythmisch anfühlt und die erste Stunde ohne echte Gehpause (außer am berühmten „Buckel“) zu absolvieren, um meinen Körper in Schwung zu bringen. Das langsame Laufen klappt ganz gut, wird auch von der Hitze unterstützt, ich kühle den Körper immer wieder mit eiskalten Geschirrtüchern über Nacken und Schultern – Gerda: vielen Dank für die permanente Bereitstellung von kaltem Wasser! Das funktioniert exzellent, die Temperaturen fühlen sich zwar schon warm an, aber ich merke keinen Leistungsverlust, auch mein Kopf wird nicht „durchgekocht“, ich fühle mich richtig wohl. Die Stimmung beim Lauf gesäumt von den zahlreichen Läufercamps der Megastaffeln (bis zu 24 Teilnehmer), Viererstaffeln und Einzelläuferbetreuer ist toll und da hier alle doch irgendwie Ahnung vom Laufen und der dafür nötigen Motivation haben wird auch die Begeisterung die nächsten 24 Stunden nie ganz abreißen – vielleicht etwas leiser teilweise, aber es gibt zumindest alle 2 Kilometer Lärm beim Rundenzähler-Container. Durch herzlichen Dank sowie sichtliche Freude, dass mich wer anfeuert, werde ich – zumindest habe ich das Gefühl – im Laufe der nächsten 24 Stunden auch von einigen entlang der Strecke richtiggehend adoptiert. Vielleicht liest ja zufällig jemand diesen Bericht, daher danke hier: an die „Hopp, hopp“-Gruppe so nach 800 bis 900 Meter, an die Truppe nach der Labe bei Kilometer 1.2 am linken Straßenrand. Die Musik und unaufhörliche Einpeitschung hat mich vorangetrieben. Das Megastaffel-Team „FIT in LEO“ von meinem Freund Thomas für die Unterstützung jede Runde. Die fantastischen Burschen bei Kilometer 1.7, die auch nach 20 Stunden immer noch „Vollgas“ beim Anfeuern gegeben haben und immer wussten, dass „da noch was geht“. Die Betreuerin von Läufer #71, welche mich auch in jeder Runde beklatscht hat. Der immer klatschende und motivierende Einzelläuferinnenbetreuer bei ca. Kilometer 2 mit der besten Musik von Welt und das die ganze Nacht hindurch. Uschi von den „Freundinnen des Laufsports“. Unbekannte Unterstützerinnen im Campingsessel während der gesamten 24 Stunden beim Holzbogen im Dörfel und natürlich das ganze Team der „Damenweltrekord“-Megastaffel. Auch wenn einige Stimmen meinten, die Stimmung wäre nicht so gut gewesen, also kein Vergleich mit allem was ich bisher erlebt habe – gut, New York ist auch super, allerdings ist hier in Irdning das Anfeuern noch einmal anders, da doch wie gesagt jeder ein bisschen Ahnung vom Laufen hat und weiß, was da so geleistet wird – das hat für mich mehr Wert als die begeisterten Amerikaner, die ja schon jeden toll finden, der mehr als 50 Meter laufen kann ;-)

So geht es jetzt die ersten Stunden dahin – zwar bemüht langsam aber von den Rundensplits doch etwas zu schnell. Ich versuche nach der ersten Stunde vermehrt Gehpausen einzulegen, im Unterbewusstsein bin ich aber wohl doch ein Straßenläufer – je schneller ich laufe umso schneller komme ich aus der Hitze raus. Hm, ja, das funktioniert bei einem 24-Stundenlauf nur so nicht. Aber wenigstens gilt „je schneller ich laufe, um so mehr Kilometer mache ich“ - fragt sich nur, wie lange. Aber gut mit diesen Gedanken vergeht die Zeit wie im Flug. Immer wieder mal Kohlenhydrate aufnehmen – Salzkartoffeln haben noch nirgends so gut geschmeckt wie in Irdning. Auch die Suppe ist fein und sollte ordentlich Elektrolyte liefern. Irgendwann wird es mir zu mühsam zwei Schüsseln zu nehmen, also leere ich die Suppe einfach zu den Salzkartoffeln dazu, dann hab ich nur ein Ding in der Hand und kann schneller weitergehen, weil jede Minute zählt! Ich hab ja nur 24 Stunden Zeit ;-)

Nach etwa sechs Stunden und ca. 54 Kilometern die erste Krise – die Knie fangen leicht an zu schmerzen, auch die Waden ziehen etwas. Also mal ordentlich mit kühlender Salbe einschmieren und dann eine Stunde nur Gehen gemäß „Laufe solange es geht, gehe bis es wieder läuft“. Nach einer Stunde und ca. weiteren sieben zurückgelegten Kilometern hat sich der Körper wieder einigermaßen erfangen. Ich betrete jetzt langsam Neuland: ich bin noch nie länger als 7h32 bei einer Laufveranstaltung unterwegs gewesen und ich habe auch noch nie mehr als 74 Kilometer „am Stück“ zurückgelegt. Ich beginne also wieder zu laufen – und wie sich mein Körper in der letzten Stunde erholt hat, es geht richtig gut dahin, mittlerweile ist es knapp 22 Uhr, es ist dunkel, es ist kühler, es ist mein Wetter. Ich ziehe so richtig dahin, werde richtiggehend euphorisch, drehe Runde für Runde. Das geht so bis Mitternacht und dem traditionellen Feuerwerk. Dann sagt mein Körper wieder, jetzt aber genug, geh wieder sonst streike ich, weil du hast mich ganz schön gefordert die letzten zwei Stunden. Okay, passt schon lieber Körper, wir haben ohnehin schon 83 Kilometer, gehen wir halt wieder eine Stunde. Nach einer Stunde wieder Rücksprache mit dem Körper „wollen wir wieder laufen?“ Antwort: „du vielleicht, ich nicht!“ Gut, Körper = Chef, also gehen. So geht das dahin bis Runde 45 und ich bekomme die Tafel für 100 zurückgelegte Kilometer von meiner Rundenzählerin gezeigt – eine magische Marke ist erreicht, meine liegt allerdings woanders, aber dazu später. Es ist knapp 3h30 Uhr morgens, ich bin also bereits über 13 Stunden unterwegs und in dieser Zeit niemals gesessen (ich glaube, das ist erstmalig in meinem Leben). „Hallo Körper – wieder laufen, weil nur im Kreis gehen wird mir jetzt zu blöd?“ – „Sicher nicht – entweder Pause oder ich streike“. Gut, machen wir 2 Stunden Pause, das kostet im momentanen Tempo etwa 10 Kilometer – wenn ich danach wieder Laufen kann, habe ich das bald herinnen. Also rein ins Zelt und es passiert genau das, was ich in diversen Berichten vorher gelesen habe – der Körper ist so in Fahrt, dass ich nicht einschlafe. Nach 45 Minuten bestenfalls dösen lasse ich mich von der Masseurin des Damen-Megastaffelteams ausgiebig massieren. Die Muskel sind alle schon ziemlich beansprucht und damit auch die Sehnen in Mitleidenschaft gezogen. Nachdem ich von Mitte 2007 bis Ende 2008 massiv mit einer Sehnenentzündung zu kämpfen hatte, werde ich bei dem Thema sehr vorsichtig und frage mal, wie nahe ich denn an einer nachhaltigen Schädigung auch in Hinblick auf die Herbstmarathons bin. Die Antwort ist ernüchternd: wenn ich im Herbst Marathonziele habe, dann sollte ich nicht mehr laufen sondern nur mehr gemütlich gehen. Gut, zunächst mal ein kleiner Schock, denn das Abenteuer 24-StundenLAUF ist damit vorbei. Andererseits: auch mit Gehen kommen Kilometer zusammen, ich habe keinen so langsamen Gehschritt und dann gilt auch „If you can't fly, then run. If you can't run, then walk. If you can't walk, then crawl. But whatever you do, KEEP MOVING“. Also so um 6 Uhr herum wieder raus auf die Strecke und weiter Runde für Runde machen. Es geht sich eigentlich ganz gut, die Muskulatur fühlt sich locker an, ich würde gerne laufen, aber die Vernunft siegt, ich bleibe beim flotten Gehschritt. So nach 16 Stunden höre ich von Carola, dass ich zwischen Platz 27 und Platz 28 der Gesamtwertung liege und dritter meiner Altersklasse bin, mit einigen Runden Vorsprung auf den vierten und wenig Rückstand auf den Zweiten – was, das gibt’s ja nicht, ich gehe seit sechs Stunden nur mehr, habe in den ersten 13 Stunden 100km geschafft und seit dem gerade mal 11 Kilometer. Na gut, interessant, irgendwie spornt mich das an und ich beschleunige meinen Schritt vom flotten Gehen auf „so schnell als möglich“. Der zweite ist für mich sicherlich nicht in Reichweite, denn das ist Andreas Pfandlbauer, mit einer Bestleistung aus dem Vorjahr von 226 Kilometer, der wohl entweder einen ganz schlechten Tag hat oder nur einen Trainingslauf macht. Jedenfalls LÄUFT er noch, warum er nicht mehr Kilometer hat ist mir ein Rätsel. Aber eines ist klar, wenn es um etwas gehen sollte, dann um Absicherung nach hinten, denn Laufen kann ich nicht mehr. Wenn allerdings der Kollege hinter mir noch einigermaßen fit ist und ein paar Laufrunden zusammenbringt, dann kann ich mich auch da nicht mehr wirklich wehren. Für diese Erkenntnisse brauche ich etwa eine Stunde – ja, ich bin doch etwas müde. Währenddessen meldet sich die Sehne am Schienebein links oberhalb des Knöchels bei jedem Schritt immer heftiger, ein kraftvolles Gehen ist nicht mehr möglich, ich schmiere immer wieder mit kühlender Salbe, aber langsam aber sicher wird auch ein einigermaßen erträgliches Gehen schwerer und schwerer. Ich habe mittlerweile 120 Kilometer absolviert. Mein eigentliches Mindestziel von 150 Kilometer werde ich verfehlen. Dieses basierte auf der Überlegung, dass ich etwa 10 bis 11 Minuten gehend pro Kilometer benötige, somit in 24 Stunden 140 Kilometer möglich sind. Dazu noch ein paar Laufkilometer und schon bin ich bei 150 Kilometer. Naja, 24 Stunden in der Praxis sind doch was anderes als mathematische Hochrechnungen. Ich habe noch etwa vier Stunden Zeit, das heißt bestenfalls komme ich noch auf 140 Kilometer. Die Stimmung ist mittlerweile nicht nur bei mir eher gedämpft, auch am Streckenrand zeigen sich Ermüdungstendenzen, auch die Dynamik der anderen Läufer lässt nach, nur die schnellen Vierer- und Megastaffeln ziehen Runde um Runde. Das sorgt übrigens auch für Abwechslung: mittlerweile erkenne ich doch die meisten mir bekannten LäuferInnen von Megastaffel und Viererstaffeln auch von hinten (die mit den Namen hinten drauf sind am einfachsten ;-) und schon schrei ich „XXX, go, go, go, weiter, weiter, weiter“ – was fantasievolleres fällt mir nicht mehr ein. Ich kämpfe sehr mit der Motivation – auch der dritte Platz in der Altersklasse kann mich nicht mehr wirklich aufrichten, denn ich verfehle mein Mindestziel deutlich! Und ich habe größten Respekt vor dem letztlich Dritten der Altersklasse, welcher mich um 1.7 Kilometer „besiegt“ hat, aber für mich persönlich wäre ich des dritten Platzes mit der für mich doch enttäuschenden Leistung nicht würdig gewesen. Ja, klingt vielleicht schwer nachvollziehbar, aber ich sehe das so.

Es ist jetzt also 10 Uhr, bereits für 8 Uhr waren Wetterkapriolen mit schweren Gewittern vom Platzsprecher angekündigt worden. Ein bisschen zu früh, denn es ging erst um 10 Uhr los, dafür dann aber ordentlich. Ich hatte vorsorglich aufgrund der dunklen Wolken einen Regenponcho eingepackt, der hielt den Wassermassen von oben allerdings auch nicht stand und nach zwei Runden war ich komplett durchnässt und einigermaßen unterkühlt. Also kämpfte ich mich noch ins „Basislager“ und kroch zum Aufwärmen in den Schlafsack. In den Schuhen stand das Wasser, das Wetter wurde auch nicht besser, immer wieder schüttete es gewaltig, Gehen konnte ich aufgrund der erwähnten Schmerzen auch nicht mehr wirklich vernünftig, nass werden wollte ich auch nicht, der Kopf war auch schon müde und wehrte sich nicht mehr und so beendete ich um 11h30 (2h30 vor Ablauf der 24 Stunden) das Abenteuer „24-Stundenlauf“, wärmte mich mal ordentlich auf, ging duschen und dann war, weil im Delirium doch alle „normalen“ Dinge ein bisschen länger dauern, ohnehin schon die Schlusssirene da und meine 127.91655 Kilometer wurden offiziell.

Mit der Schlusssirene ist es auch Zeit für ein Fazit und Antworten auf die Fragen vor dem Lauf. Mein unmittelbares Fazit war: „naja, brauch ich wahrscheinlich nicht mehr wieder“. Nach einer Nacht drüber schlafen und weiterhin leichter Schmerzen der beleidigten Sehnen erwacht allerdings trotzdem schon wieder der Kampfgeist. Denn die Stimmung war für mich schon etwas Einmaliges, Rundenlaufen an sich macht mir eigentlich nix aus, im Gegenteil, alle Kilometer eine Versorgungsstation zu haben ist für mich schlechten „Futterverwerter“ ideal, um die Energietanks kontinuierlich nachzufüllen, das Laufen in der Dunkelheit taugt mir sowieso (mache ja mittlerweile im normalen Marathontraining auch meine wöchentlichen Long Jogs abends an Arbeitstagen, weil mir da die Distanzen nicht so auffallen) und dann hab ich ja eine Rechnung offen – diese Kilometerleistung kann ich für mich persönlich so nicht stehen lassen. Wie sagten die Burschen von Kilometer 1.7? „Da geht noch was“ – da haben sie sicherlich recht. Und auch mein Unterbewusstsein hat da glaub ich schon vor einigen Wochen in diese Richtung gesteuert. Denn wie heißt meine Benefizhomepage? http://martin24h.awardspace.biz Und mein Blog? http://martin24h.blogspot.com Da nehme ich ja in der Domain nirgends Bezug auf Irdning und 2010. Passt – dann hab ich da ja schon eine Plattform für weitere Projekte. Ich glaube, das Ultralaufvirus hat mich erwischt. Also: einmal und nie wieder? Antwort: wenn es der Körper zulässt sicher wieder! Und: nächstes Jahr mache ich auch sicher noch eine Schlussrunde um mich bei allen an der Strecke persönlich zu bedanken - versprochen!

4 Kommentare:

  1. Einmal und vielleicht ein zweites Mal?
    Herzlichen Glückwunsch und danke für diese tolle Leistung! lg Uschi

    AntwortenLöschen
  2. sehr cooler bericht martin! @mindestziel: ich glaube die lektion von so einem lauf ist wirklich einfach nur "keep on moving" :-), ganz egal wie weit man es schafft. du hast das großartig gemeistert und alles gegeben. danke für den eindrucksvollen bericht!

    AntwortenLöschen
  3. Das war ja ein rüder Einstieg, in die Ultraszene. Gleich beim ersten mal 24h

    Unfassbar, wie man sich das antun kann.
    Auch wenn deine Planung ein wenig anders aussah, das Ergebnis ist in Anbetracht der Wochen davor und der Hitze am Beginn stark.
    Einmal ist keinmal – Echte Triebtäter kehren an den Tatort zurück

    AntwortenLöschen
  4. In jedem Fall eine tolle Leistung - um nicht zu sagen Wahnsinn (in jedem Sinne)
    Ich schaffert maximal 24 Stunden Marathonbiertrinken im schattigen Gastgarten

    AntwortenLöschen